EU legt Fahrplan für Umsatzsteuer vor

Die EU plant eine Reform der Mehrwertsteuer – zum Vorteil des kooperierenden Mittelstandes. An den Vorschlägen hat sich auch DER MITTELSTANDSVERBUND aktiv beteiligt.

Berlin/Brüsssel, 15.04.2016 — Die Europäische Kommission hat offiziell Pläne für einen einheitlichen europäischen Raum bei der Umsatzsteuer vorgestellt. Das Ziel der Kommission ist, administrative Hürden im Binnenmarkt abzubauen. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollen von einer stärkeren Harmonisierung profitieren.

Die EU plant außerdem, Steuerbetrug zu erschweren. DER MITTELSTANDSVERBUND begrüßt die Pläne der Europäischen Kommission. Die Vorschläge des Spitzenverbandes finden sich in dem vorgestellten Papier wieder.

Was ist das Problem?

Unter Experten ist unstrittig, dass die Umsatzsteuerrichtlinie in der Europäischen Union nicht mehr zeitgemäß ist. Neue Schwierigkeiten ergeben sich vor allem aus neuen Geschäftsmodellen im Zuge des stetig wachsenden Online-Handels.

Grundsätzlich müssen Unternehmen bei Ausfuhren an andere Unternehmer in der EU eine Rechnung ohne Umsatzsteuerausweis anfertigen. Der Leistungsempfänger steht dann in der Pflicht, bei seinem Finanzamt eine Einfuhrumsatzsteuer anzumelden (sog. reverse charge Verfahren).

Bei Lieferungen an Verbraucher bleibt der Verkäufer in der Verantwortung, die anzuwendende, lokale Umsatzsteuer ordnungsgemäß abzuführen. Letztlich sind dadurch die Kosten der Befolgung des Steuerrechts bei Verkäufen ins EU-Ausland deutlich höher als bei rein inländischen Umsätzen.

Was plant die Kommission?

Nach Vorstellungen der Kommission soll das neue System weiterhin auf dem Prinzip der Besteuerung im Bestimmungsland beruhen. Das heißt, die Umsatzsteuer, die letztlich der Verbraucher zahlt, soll auch dem Land zustehen, in dem das Gut oder die Dienstleistung konsumiert wird. Neu wären allerdings verfahrensrechtliche Bestimmungen: Anstelle des reverse charge Verfahren sollen Unternehmen zukünftig nur eine Steuererklärung im Ansässigkeitsstaat für alle Umsätze in der Europäischen Union einreichen.

Das bedeutet, dass das heimische Finanzamt die Umsatzsteuer im Auftrag anderer Mitgliedsstaaten erhebt und anschließend an das Bestimmungsland abführt. Beliefert beispielsweise ein deutsches Unternehmen einen Kunden in Österreich, würde fortan die österreichische Umsatzsteuer wie im inländischen Geschäftsverkehr auch über die Rechnung vereinnahmt. Der deutsche Unternehmer führt diese Umsatzsteuer an das deutsche Finanzamt ab, welches den fälligen Betrag an den österreichischen Fiskus überweist – und das unabhängig davon, ob es sich um einen Verbraucher oder ein Unternehmen in nachgelagerter Wirtschaftsstufe handelt.

Der Vorteil: Für den Steuerpflichtigen entfällt administrativer Aufwand, da alle Umsätze in der EU mit einer Erklärung abgehandelt werden können.

Zwei Mehrwertsteuermodelle

Pläne gibt es auch für die Rahmenbedingungen bei den Umsatzsteuersätzen. Nach der aktuellen Mehrwertsteuerrichtlinie gilt ein Mindestnormalsatz von 15 Prozent. Darüber hinaus dürfen Staaten höchstens zwei reduzierte Steuersätze von mindestens fünf Prozent einführen.

Der reduzierte Steuersatz darf dabei nur auf einen bestimmten Katalog von Gütern und Dienstleistungen angewandt werden. Dieser Katalog ist aus Sicht der Kommission nicht mehr zeitgemäß. Sie macht hier zwei Lösungsvorschläge.

In der ersten Option würde der Mindestnormalsatz von 15 Prozent beibehalten werden. Zusätzlich würde das Verzeichnis von Gütern und Dienstleistungen, auf die eine reduzierte Umsatzsteuer erhoben werden darf, regelmäßig mit Blick auf politische Prioritäten angepasst werden.

In einer anderen Variante sollen die Mitgliedsländer den Mehrwertsteuernormalsatz frei wählen dürfen. Auch bei der Liste der reduziert besteuerten Vorgänge soll den Mitgliedsstaaten – von einigen Grundregeln abgesehen – weitestgehend freie Hand gegeben werden. Gerade der zweite Ansatz wird gegenwärtig kontrovers diskutiert.

Umsatzsteuerverfahren mittelstandsfreundlich gestalten

In einem Schreiben an Donato Raponi, zuständiger Bereichsleiter der Generaldirektion "Steuern und Zölle", wies Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES, bereits auf wichtige Notwendigkeiten für die erfolgreiche Gestaltung eines gemeinsamen Umsatzsteuerraums hin.

Der Spitzenverband hat einen harmonisierten Warenkatalog in Europa gefordert. Dabei geht es nicht darum, Transaktionen gleich hoch zu besteuern, sondern europaweit möglichst einheitliche Steuertatbestände zu schaffen. Dadurch erhöht sich die Rechtsicherheit für den Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung.

Ein deutscher Mittelständler und sein Finanzamt müssten sich demnach nicht darüber streiten, ob ein Umsatz nach italienischem Umsatzsteuerrecht zum regulären oder reduzierten Satz besteuert wird. Sobald ein Vorgang europaweit einheitlich definiert, abgegrenzt und katalogisiert worden ist, ließe sich der anzuwendende Umsatzsteuersatz für das jeweilige Bestimmungsland relativ einfach ermitteln. Dadurch kann viel Bürokratie reduziert werden.

Auf den Vorschlag des MITTELSTANDSVERBUNDES hat die EU-Kommission in ihrem Aktionsplan reagiert. Es sei "sehr wichtig, dass die jeweiligen nationalen Vorschriften einfach sind und so weit wie möglich auf harmonisierten Warenkategorien basieren", heißt es in der vorgelegten Mitteilung an das Parlament, dem Rat sowie dem Wirtschafts- und Sozialausschuss.

Mindestqualitätsnormen für Steuerverwaltungen

Außerdem forderte der Spitzenverband des kooperierenden Mittelstandes, Anreizsysteme und Sanktionsregeln für säumige Mitgliedsstaaten zu schaffen, um einen ordentlichen Steuervollzug zu gewährleisten.

Dieser Aspekt ist vor allem für den stationären Handel von Bedeutung. Denn bei mangelndem Steuervollzug könnte der Wettbewerb verzerrt werden. Wenn z.B. ein Online-Händler in einem anderen EU-Land aufgrund von Vollzugsdefiziten die Umsatzsteuer seines deutschen Kunden de facto nicht abführen muss, erhält dieser Wettbewerber einen deutlichen Preisvorteil gegenüber seinem inländischen, korrekt besteuerten Konkurrenten.

Auch auf diesen Hinweis ist die Kommission eingegangen. Instrumente der Verwaltungszusammenarbeit sollen gestärkt werden. Die Rolle von Eurofisc, einem Netzwerk von Steuerbeamten zum Austausch von Informationen zum Mehrwertsteuerbetrug, soll qualitativ ausgebaut werden. Zum Beispiel soll Eurofisc gemeinsame Prüfungen durchführen können. Darüber hinaus sollen Mindestqualitätsnormen für die Steuerverwaltungen festgelegt werden. Hierzu plant die Kommission eine strategische Debatte mit den Leitern der 28 nationalen Steuerverwaltungen.

Fazit: Wie geht es weiter?

DER MITTELSTANDSVERBUND begrüßt den Umsatzsteueraktionsplan. Die EU-Kommission hat darin die Vorschläge des Verbandes übernommen. Die meisten Aspekte des Plans zielen auf Verfahrensvereinfachungen, von denen der Mittelstand ganz besonders profitiert. Durch die Abschaffung des reverse charge Verfahrens und einer grenzüberschreitenden Steuererhebung verringern sich Bürokratiekosten.

Auch bei wenigen Umsätzen mit Verbrauchern in einem anderen EU-Land fallen bisher hohe Kosten für eine zusätzliche Umsatzsteuererklärung an. Dieser Aufwand würde bei einer Umsetzung der Kommissionsvorschläge stark vereinfacht werden.

Offen bleibt allerdings, ob die Optionen für die Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Steuersätze eine Harmonisierung nicht weiter erschweren. Durch eine Aufweichung des europäischen Rahmens können auf nationaler Ebene verstärkt neue, feingliedrigere Steuertatbestände geschaffen werden.

Zunächst wird die EU-Kommission nun mit Zoll- und Steuerverwaltungen Maßnahmen zur verbesserten Zusammenarbeit entwickeln. Erst im kommenden Jahr soll dann ein endgültiges Mehrwertsteuersystem für den grenzüberschreitenden Handel als formeller Entwurf in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Parallel dazu sollen auch ein Mehrwertsteuerpaket für kleine und mittlere Unternehmen sowie eine Reform der Steuersätze vorgelegt werden.

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