EU macht barrierefreies Surfen zur Pflicht

Digitale Inhalte sollen auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein. So will es die EU. Betroffen ist zunächst der öffentliche Sektor. Die Richtlinie könnte bald aber auch für den Online-Handel gelten.

Brüssel, 16.12.2016 - Müssen Online-Händler ihre Webseiten bald barrierefrei anbieten? Wenn es nach dem Willen der EU geht, könnte das bald zur Pflicht werden. Am 2. Dezember veröffentlichte die EU im Amtsblatt der Europäischen Union die "Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen".

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Mit der Richtlinie werden zunächst alle öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten verpflichtet, Webseiten und mobile Anwendungen für Nutzer, vor allem für Menschen mit Behinderungen, besser zugänglich zu machen. Ausgenommen sind neben den Berufskammern auch Webseiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Auch die EU-Institutionen müssen sich im Übrigen nicht an die neuen Verpflichtungen halten.

Wie der barrierefreie Zugang konkret aussehen soll, bleibt allerdings offen. Die Mitgliedstaaten sind lediglich aufgefordert, wesentliche Online-Verwaltungsfunktionen unter "transparenten, wirksamen und nichtdiskriminierenden Bedingungen" bereitzustellen. Menschen mit Behinderungen und ältere Personen sollen dadurch einfacher am E-Government teilhaben können.

Von den Verpflichtungen ausgenommen sind öffentliche Stellen, die eine unverhältnismäßig hohe Belastung darstellen können. Was es damit allerdings konkret auf sich hat, lässt die Richtlinie ebenfalls offen.

Mitgliedstaaten bestimmen selbst

Wie Webseiten zukünftig barrierefrei aussehen sollen, überlässt die EU den Mitgliedstaaten. Lediglich eine sogenannte „Technologieneutralität“ schreibt die Richtlinie vor. Im Wesentlichen müssen die Inhalte vier Grundsätzen entsprechen:

  • Wahrnehmbarkeit, d. h., die Informationen und Komponenten der Nutzerschnittstelle müssen den Nutzern in einer Weise dargestellt werden, dass sie sie wahrnehmen können;
  • Bedienbarkeit, d. h., der Nutzer muss die Komponenten der Nutzerschnittstelle und die Navigation handhaben können;
  • Verständlichkeit, d. h., die Informationen und die Handhabung der Nutzerschnittstelle müssen verständlich sein;
  • Robustheit, d. h., die Inhalte müssen robust genug sein, damit sie zuverlässig von einer Vielfalt von Benutzeragenten, einschließlich assistieren Technologien, interpretiert werden können.

Ausweitung der Regeln auf den Handel

Für den privaten Sektor gelten die neuen Regelungen bisher nicht. Das könnte sich allerdings bald ändern. So sollen die Mitgliedstaaten „ferner ermutigt werden, die Anwendung dieser Richtlinie auf private Stellen auszuweiten, die Einrichtungen und Dienstleistungen anbieten, die der Öffentlichkeit offenstehen bzw. bereitgestellt werden, unter anderem in den Bereichen Gesundheitswesen, Kinderbetreuung, soziale Integration und soziale Sicherheit …“.

„Der Schritt, Online-Händler dazu zu verpflichten, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten, scheint damit nicht weit“, erklärt Tim Geier, Leiter des MITTELSTANDSVERBUND-Büros in Brüssel. Das zeige auch die aktuelle Diskussion des Europäischen Parlaments, Rates und der Kommission. Die EU-Institutionen suchen gerade einen Vorschlag über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen. „Hiervon wäre der gesamte Online-Handel betroffen“, so Geier.

Pläne blockieren Digitalen Binnenmarkt

Entsprechend dem aktuellen Kompromiss zur Verpflichtung öffentlicher Stellen muss dieser Vorschlag Ausnahmen bei unverhältnismäßig hohen Kosten der Gewährleistung von Barrierefreiheit enthalten. „Andernfalls könnte der Plan der Kommission, gerade das Wachstum des digitalen Binnenmarkts zu stärken, sehr schnell scheitern“, warnt der EU-Experte des Spitzenverbandes.

Weiterhin muss der Ansatz verfolgt werden, dass Online-Inhalte lediglich Schnittstellen zum Auslesen durch assistierende Technologien – beispielsweise solche, die Webseiten-Inhalte in Blindenschrift umwandeln können – bereithalten sollten. Somit könnten Händler kosten- aber auch technologieneutral und vor allem handhabbar für die Betroffenen barrierefreie Inhalte bereitstellen.

Die Diskussionen über den Vorschlag werden im kommenden Jahr fortgeführt. Mit einer Einigung ist Mitte nächsten Jahres zu rechnen.

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