Europa wählt: Was erwartet den kooperierenden Mittelstand?
Am 09. Juni ist es so weit: Die Bürger:innen wählen ein neues EU-Parlament. Doch welche Partei wählen? Im Rahmen unseres "Wahlprogramm-Checks“ wertet DER MITTELSTANDSVERBUND die Wahlprogramme der größeren deutschen Parteien aus und prüft diese auf Relevanz für mittelständische Verbundgruppen.
Brüssel, 15.04.2024 – Die folgenden Darstellungen konzentrieren sich auf die wesentlichen wirtschaftspolitischen Schwerpunkte der Parteiprogramme. Eine detailliertere Darstellung der programmatische Ausrichtung der Parteien finden Sie hier in der ausführlicheren Version des „Wahlprogramm-Checks“ mitsamt Kommentierung seitens des MITTELSTANDSVERBUNDES. DER MITTELSTANDSVERBUND betont zudem seine Neutralität mit Blick auf die Europawahl. Die getroffene Reihenfolge der Wahlprogramme stellt daher keine Bewertung deren Inhalte dar.
DIE LINKE
Mit der Vision eines „Europa der sozialen Gerechtigkeit“ will DIE LINKE mit ihren Spitzenkandidaten Martin Schirdewan und Carola Rackete den Weg aus der Krise finden. Punkten will die Partei in ihrem Europawahlprogramm vor allem mit der Rückbesinnung auf soziale Tugenden. So wirbt die Partei mit
- einer Erhöhung des Mindestlohns auf 15€, auch soll die Mindestlohnrichtlinie dahingehend verändert werden, dass öffentliche Aufträge an Tarifbindungen geknüpft werden sowie OT-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden grundsätzlich verboten werden;
- eine Reduzierung der Abfälle durch eine Erweiterung der Ökodesignvorgaben für Produkte. So sollen Hersteller etwa zukünftig für die Kosten für Rücknahme, Transport, Wiederaufbereitung oder Entsorgung der Produkte verantwortlich gemacht werden;
- eine Stärkung der EU-Lieferkettenrichtlinie dahingehend, dass die Schwellenwerte für Unternehmensgrößen deutlich herabgesetzt werden.
BSW – Bündnis Sarah Wagenknecht
Zwar will das neugegründete „Bündnis Sarah Wagenknecht“ laut seiner Namenspatronin keine Linke 2.0 darstellen. Starke Kontraste lassen sich jedoch lediglich in der außenpolitischen Aspekten finden: So steht das BSW für ein „Unabhängiges Europa souveräner Demokratie“ für einen Rückbau der Union, der sich unter anderem in einer Verschlankung des EU-Haushalts sowie einem Moratorium zu einem Verzicht der Aufnahme neuer Mitglieder erkennbar macht. Zudem will sich die Partei mit den Themen Ukraine-Konflikt und Migration profilieren. So sollen Asylverfahren zukünftig an EU-Außengrenzen oder in Drittstaaten stattfinden, in Bezug auf die Ukraine fordert die Partei ein Ende der Waffenlieferungen. Des Weiteren platziert das BSW in seinem Wahlkampf folgende Themen:
- Die Verschärfung des Kartellrechts, welche Big Tech Konzerne im Sinne eines fairen Wettbewerbs „zurückdrängen“ will;
- die Schaffung einer eigenständigen europäischen digitalen Infrastruktur;
- Wirtschafts- und Sozialpolitisch, wie in der globalen Mindestbesteuerung von Unternehmen in Höhe von 25%, hat die Partei überdies große Schnittmengen mit dem Programm der Partei DIE LINKE.
SPD
Von einer „Richtungswahl“ gegen rechts sprach die erneut zur Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten gewählte Katarina Barley. Dabei gehe es darum, die EU gegen innere und äußere Feinde zu stärken und nannte dabei ausdrücklich Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Hierzu will die Partei für die „zentralen Politikbereichen der EU, die einen erkennbaren europäischen Mehrwert liefern“ den Haushalt der Union deutlich stärken und durch die Förderung von Eigenmitteln auch unabhängiger von nationalen Regierungen machen. Zugleich gehe es auch darum, die EU als Industrie- und Wirtschaftsstandort zu stärken – und dabei die soziale Absicherung nicht aus den Augen zu verlieren. Dies soll angestrebt werden durch
- ein Gesetz zur Begrenzung von Manipulationsmöglichkeiten im Internet, mit denen Verbraucher mit unlauteren Mitteln zu Kaufentscheidungen veranlasst werden (Dark Patterns);
- eine stärkere Rechenschaftspflicht von Online-Marktplätzen, die eigene Prüfpflichten bekommen sollen;
- den Abbau von bürokratischen Hemmnissen im Binnenmarkt, um Planungsprozesse zu beschleunigen und Raum für Unternehmertum und Kreativität zu schaffen. Hierzu soll auch die Datenschutzgrundversorgung (DSGVO) weiterentwickelt werden – ein Fokus auf digitalem Fortschritt und der Verbesserung digitaler Plattform soll dabei den Abbau von Bürokratie vor allem für KMU erleichtern.
Bündnis 90/ DIE GRÜNEN
Wohlstand, Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit schützen – Das ist der Kern des Europawahlprogramms der Grünen. Mit Terry Reintke als Spitzenkandidatin setzt die gebeutelte Koalitionspartei auf ein sehr ambitioniertes Wahlprogramm. Das Schlüsselprojekt stellt dabei ein groß angelegtes EU-weites Investitionsprogramm nach Ablauf des Corona-Wiederaufbauprogramms NextGenerationEU dar, das unter anderem den klimaneutralen Umbau der Industrie fördern soll. Generell steht die Partei für eine finanziell stark aufgestellte Europäische Union, weshalb etwa nationale Beiträge erhöht werden sollen. Zudem setzen die Grünen mit der Forderung nach starken öffentlicher Förderprogramme für (grüne) Zukunftstechnologien auf eine europäische Antwort auf den amerikanischen Inflation Reduction Act. Hinzu kommen zudem folgende Vorschläge:
- eine Stärkung des Rechts auf Reparatur. Dazu gehören die Verpflichtung der Hersteller zur Bereitstellung von Ersatzteilen, die Einführung eines Lebensdauer- und Reparaturindex für Haushaltsgroßgeräte, die Verlängerung der Gewährleistungsfristen und das Verbot der Vernichtung zurückgesandter Ware aus dem Online-Handel;
- eine Verbesserung von KMU-Tests mit dem Ziel, Gesetze im Sinne des „small first“-Prinzips besonders belastungsarm für KMU zu konzipieren;
- die Verschärfung des Wettbewerbsrechts mit dem Ziel für KMU, Produkte online zu fairen Bedingungen handeln zu können.
CDU/CSU
Das Europawahlprogramm der Union steht im Kern im Zeichen dreier Versprechen: Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. In Bezug auf die ersten zwei Punkte bedeutet das vor allem eine massive Aufrüstung der Europäischen Union, die Einführung eines EU-Verteidigungskommissars sowie ein besserer Schutz der EU-Außengrenzen bei einer größeren Anzahl von Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern. Die Christdemokraten, die mit Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen (CDU) und Manfred Weber (CSU) als Spitzenkandidat*innen prominent vertreten sind, sehen überdies die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europa als notwendige Voraussetzung für eine handlungsfähige Union. Hierfür sieht sie folgende Schritte vor
- der Belastungsstopp für neue und laufende EU-Regulierungen. Ziel ist es, bestehende Berichtspflichten für Unternehmen zusammenzufassen und überflüssige Richtlinien abzuschaffen. Zudem soll zukünftig das „1 in, 2 out“-Prinzip der EU-Regularien konsequent umgesetzt werden;
- eine Reform der DSGVO mit dem Ziel eines Datenschutzrechts, das überall in der EU gleich angewandt wird;
- die Vertiefung des EU-Binnenmarkts durch den Abbau grenzüberschreitender Handelshindernisse.
FDP
Auch die FDP setzt einen großen Schwerpunkt im Europawahlkampf auf das Thema Verteidigungsfähigkeit. Dass die ausgewiesene Sicherheit- und Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Spitzenkandidatin gewählt wurde, hat Symbolkraft. So soll unter anderem der Bereich der GASP ausgebaut werden. Eine Europäische Verteidigungsunion als Zwischenschritt zur Vision einer europäischen Armee sowie den Ausbau von Europäischen Programmen zur Rüstungsbeschaffung wie dem Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) soll dem Bündnis in Sachen Verteidigung mehr Macht verleihen. Auch will die Partei „Europa Einfacher machen“ – dazu fordert die Partei eine „Trendwende für einen radikalen Bürokratieabbau“. Konkrete Vorschläge dabei sind etwa
- die Einführung eines „Bureaucracy Reduction Acts“, der das ambitionierte Ziel der Befreiung der Wirtschaft von mindestens 50% der Bürokratielasten vorsieht und eine strenge Befolgung der „1 in 2 out“-Regel vorschreibt
- die Zusammenführung von Berichtspflichten aus verschiedenen Gesetzestexten, die sich teilweise überlagern
- die Einrichtung eines einheitlichen digitalen Meldeportals, welches Unternehmen relevante Informationen gebündelt bereitstellen und eine unkomplizierte zentrale Einrichtung von Informationen ermöglichen soll.