Europäische Lieferketten-Richtlinie: Mitgliedstaaten nehmen sich notwendige Atempause

Die Regierungsvertreter der europäischen Mitgliedstaaten lehnten jüngst das Verhandlungsergebnis zum Vorschlag einer europäischen Lieferkettenrichtlinie ab. Damit erfährt das Dossier aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES eine wichtige und notwendige Zäsur.

Brüssel, 28.02.2024: „Die notwendige Unterstützung wurde nicht gefunden.“, so die belgische Ratspräsidentschaft zu dem Ausgang der Verhandlungen über den Vorschlag für Sorgfaltspflichten entlang der Wertschöpfungskette. Bereits Mitte Dezember 2023 hatten sich die europäischen Gesetzgeber auf einen Kompromiss zum Richtlinien-Vorschlag geeinigt.   

Danach standen folgende Punkte fest:   

Grundpflichten:  

  • Wie das deutsche Lieferkettengesetz setzt die Europäische Lieferketten-Verordnung auf ein Sorgfaltspflichten- und Berichtssystem.  
  • Die von der Richtlinie erfassten Unternehmen müssen alle Risiken entlang der Lieferkette identifizieren, analysieren und ggf. Gegenmaßnahmen zu deren Behebung ergreifen.  
  • Die eingeleiteten Schritte sowie eine umfassende Risikoanalyse sollen in einem jährlichen Bericht veröffentlicht werden.  

Anwendungsbereich:  

  • Unternehmen mit 500 oder mehr Mitarbeitern sowie einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 150 Mio. Euro werden von den neuen Pflichten direkt betroffen sein.  
  • Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 40 Mio. Euro werden vom Anwendungsbereich erfasst, wenn sie in „Hochrisikosektoren“ wie bspw. Textilien, Lebensmitteln oder Rohstoffen aktiv sind. Unklar ist hierbei, ob alle dort tätigen Unternehmen oder nur einzelne Stufen der Wertschöpfung, insbesondere die Produzenten, davon betroffen sind.  
  • Die Anwendung der Richtlinien und deren Pflichten soll dabei gestaffelt erfolgen:  
  • 2027: Nur Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeiter sind betroffen.  
  • 2028: Unternehmen ab 500 Mitarbeitern werden betroffen sein.  
  • 2029: Auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitern werden betroffen sein, soweit sie in Hochrisikosektoren aktiv sind.  
  • Der Finanzsektor ist faktisch von dem Anwendungsbereich ausgenommen (der Umfang der Pflichten scheint Stand heute noch nicht abschließend festzustehen).  

Unklar blieb hingegen die Tiefe der Sorgfaltspflicht, die Unternehmen zukünftig walten lassen müssen. Denn anders als im Deutschen Lieferkettengesetz sollten Unternehmen nicht ausschließlich direkte Geschäftspartner bzgl. der Einhaltung von Menschenrechten überprüfen. Gerade der fast zweijährige Umgang mit dem Deutschen Lieferkettengesetz hat dabei gezeigt, dass klare Regeln bislang fehlen. In vielen Fällen konnte das volle Potential der Unternehmen nicht ausgeschöpft werden. Vielmehr drehten sich viele Fragen um den Umfang und die Art der Berichtspflicht sowie den dahinterstehenden Compliance-Prozess.   

Zudem geht der europäische Vorschlag in einigen Bereich über das Deutsche Lieferkettengesetz hinaus. So sollen auch nachgelagerte Geschäftspartner auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards überprüft werden. Weiterhin soll der Anwendungsbereich der neuen Vorschriften massiv erweitert werden; in den meisten Fällen wären danach Unternehmen bereits ab einer Mitarbeiterzahl von 500 Personen betroffen. Zudem sollen Nichtregierungsorganisationen neue Auskunftsrechte gegenüber betroffenen Unternehmen erhalten und im Namen betroffener Arbeitnehmer klagen können. Daraus könnte sich ein neues und nicht abschließendes Haftungsrisiko für Unternehmen ergeben.   

Aus diesem Grund wies DER MITTELSTANDSVERBUND zusammen mit anderen Verbänden darauf hin, dass der gefundene Kompromiss keineswegs geeignet ist, um Unternehmen in ihren Bestrebungen, Menschenrechte entlang der Lieferkette einzufordern, zu unterstützen.   

Diese Einschätzung scheint nunmehr mit der im Rat beschlossenen Ablehnung bestätigt worden zu sein; Neben Deutschland kritisierten zuletzt auch Italien und Frankreich den Kompromiss. In letzter Sekunde schlug die französische Regierung zudem vor, den Anwendungsbereich der Richtlinie massiv einzuschränken.   

Wie geht es weiter?   

Das Scheitern im Rat bedeutet keineswegs das Ende des Vorhabens; Vielmehr gehen Rat und Europäisches Parlament nunmehr in eine weitere Verhandlungsrunde – Ausgang ungewiss. Das Parlament tagt in seiner jetzigen Zusammensetzung das letzte Mal Ende April. Zeit genug also, auf die Kritikpunkte einzugehen.     

„In der politischen Diskussion sind viele ab einem gewissen Punkt falsch abgebogen; Breit und lang wurde über Berichtspflichten, Risikoanalysen und abgestufte Anwendungsbereiche diskutiert. Welcher Akteur dabei realistisch welchen Beitrag zum Schutz von Menschenrechten leisten kann, wurde völlig aus den Augen verloren. Viele Mitgliedstaaten haben daher heute richtigerweise für eine notwendige Atempause im politischen Diskurs plädiert. Das Projekt ist nicht gescheitert, sondern wird nunmehr hoffentlich auf ein robustes und vor allen Dingen auch für den Mittelstand darstellbares Fundament gestellt.

DER MITTELSTANDSVERBUND setzt sich daher weiter für durchführbare Regeln ein, setzt aber auch auf klare flankierende Maßnahmen aufseiten der Mitgliedstaaten.

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