Europäische Lieferkettenregulierung stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen

Fast in einer Nacht- und Nebelaktion wurde das Vorhaben der europäischen Lieferketten-Richtlinie in den letzten Tagen durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht. Aufgrund des enormen Zeitdrucks, den sich die Europäischen Institutionen selbst auferlegt hatten, ist das Ergebnis ein ungenauer und wenig ausführbarer Kompromiss. Gerade mittelständische Unternehmen werden vor viele neue Herausforderungen gestellt.

Brüssel, 22.03.2024 – Obwohl die europäischen Entscheidungsträger bereits Ende 2023 einen politischen Kompromiss zum Vorschlag über eine europäische Lieferketten-Richtlinie gefunden hatten, war eigentlich noch wenig wirklich ausverhandelt: Streitigkeiten bezüglich der betroffenen Unternehmen, die Tiefe der Sorgfaltspflicht sowie Fragen zur Haftung von Unternehmen sorgten bis zuletzt für ein stetiges Hin und Her im Gesetzgebungsprozess.

Insbesondere im Rat der EU kam es daher zu drei Abstimmungsversuchen. Bis zuletzt sperrte sich die Bundesregierung dabei gegen das Gesetzesvorhaben, drohen doch stärkere Belastungen durch den Vorschlag der EU. Am 15. März 2024 war es dann aber doch soweit: Nach einigen Nachbesserungen am Gesetzestext konnten die Belgische Ratspräsidentschaft eine Mehrheit für den Vorschlag finden. Der zuständige Rechtsausschuss im Europäischen Parlament legte diese Woche nach und nahm das angepasste Verhandlungsergebnis formal an.

Was ist nunmehr geregelt?

Ähnlich dem deutschen Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz müssen betroffene Unternehmen zukünftig ein Risiko-Management-System bezüglich der Einhaltung von Menschenrechten bei ihren Geschäftspartnern einrichten und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechten ergreifen. 

Unternehmen sollen abgestuft von den neuen Pflichten betroffen sein: 

  • 3 Jahre nach In-Kraft-Treten der Richtlinie: Unternehmen ab einer Mitarbeiterzahl von 5000 und einem weltweiten Jahresumsatz von 1,5 Mrd. EUR, 
  • 4 Jahre nach In-Kraft-Treten der Richtlinie: Unternehme ab einer Mitarbeiterzahl von 3000 und einem weltweiten Jahresumsatz von 900 Mio. EUR, 
  • 5 Jahre nach In-Kraft-Treten der Richtlinie: Unternehme ab einer Mitarbeiterzahl von 1000 und einem weltweiten Jahresumsatz von 450 Mio. EUR.  

Entgegen der Positionierung des Europäischen Parlaments wurden Hochrisikosektoren wie etwa die Rohstoffgewinnung aber auch Großhandelsstufen im Textil- und Lebensmittelsektor nicht in den nunmehr verabschiedeten Anwendungsbereich aufgenommen. 

Die Sorgfaltspflichten erstrecken sich auf folgende Bereiche: 

  • Erarbeitung eines Risiko-Management-Systems, 
  • Risikoanalyse, 
  • Ggf. Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechten, 
  • Einrichtung eines Beschwerdemechanismus, 
  • Dokumentation der Maßnahmen und 
  • Veröffentlichung eines jährlichen Berichts. 

Anders als das deutsche Lieferketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz erstrecken sich die Sorgfaltspflichten auf direkte und indirekte Geschäftspartner. Eine Begrenzung der Pflichten auf direkte Geschäftspartner wurde – entgegen der Kritik des MITTELSTANDSVERBUNDES – nicht aufgenommen. Weiterhin müssen auch nachgelagerte direkte Geschäftspartner, die mit dem Vertrieb, der Lagerhaltung und Logistik befasst sind, in die Risikoanalyse aufgenommen werden. 

Die Richtlinie sieht weiterhin einheitliche Haftungsregeln für betroffene Unternehmen vor. Geschädigte Arbeitnehmer sollen danach Schadensersatz von dem verpflichteten Unternehmen fordern können, soweit das Unternehmen seinen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist und daraus kausal ein Schaden entstanden ist. Nicht-Regierungs-Organisation haben das Recht, den Anspruch gerichtlich für den Geschädigten geltend zu machen. Im Rahmen des Prozesses sollen die Mitgliedstaaten Voraussetzungen schaffen, dass Beweismittel, die im Bereich des beklagten Unternehmens liegen, gegebenenfalls an den Kläger herausgegeben werden müssen. Auch diesbezüglich hat DER MITTELSTANDSVERBUND auf die erheblichen Haftungsrisiken einer solchen Regelungen hingewiesen. 

Nächste Schritte 

Der finale Text muss nunmehr noch formal vom EP-Plenum angenommen werden. Ob dies noch vor der Wahl erfolgt, bleibt fraglich. Die ersten Unternehmen werden danach aller Voraussicht nach ab 2027 von den neuen Pflichten betroffen sein. 

Was wird nunmehr wichtig?

Nach der Finalisierung des Gesetzgebungsverfahrens müssen die Mitgliedstaaten die Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Hierbei droht ein Flickenteppich: Eine Harmonisierung ist nur in wenigen Bereichen vorgesehen.

Klar ist bereits jetzt: Mittelständler bleiben weiterhin das Scharnier zwischen den Wertschöpfungsstufen. Der Trend großer betroffener Unternehmen, in einem immer größeren Umfang Lieferketten-relevante Informationen bei ihren Geschäftspartnern einzufordern, wird sich durch die neue Richtlinie weiter verschärfen. Aufgrund der unklaren Tiefe der Sorgfaltspflichten wird eine intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik auch für mittelständische Unternehmen unvermeidlich. „Bereits jetzt trägt der Mittelstand die Hauptlast der Pflichten.", meint auch Tim Geier, Geschäftsführer Büro Brüssel, DER MITTELSTANDSVERBUND. „Eine Bewältigung der Aufgaben ist gerade vor dem Hintergrund der weitergehenden Regulatorik nur im Verbund realistisch darstellbar.“, so Geier weiter.

DER MITTELSTANDSVERBUND erinnert in diesem Zusammenhang an das Versprechen der Bundesregierung, die Berichtspflichten (und den damit verbundenen indirekten Aufwand auch für Mittelständler) auf ein Minimum zu reduzieren und Dopplungen zu vermeiden.

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