Europäisches Parlament legt hohe Maßstäbe an zukünftiges Gewährleistungsrecht

Ende Februar einigten sich die Europaabgeordneten des federführenden Binnenmarktausschusses über den Berichtsentwurf zum Richtlinienvorschlag über bestimmte vertragliche Aspekte des Online- und sonstigen Fernabsatzes von Waren. Ob damit wirklich ein Mehrwert für den Handel verbunden ist, bleibt jedoch weiterhin fraglich.

Brüssel, 13.03.2018 – Ende Februar einigten sich die Europaabgeordneten des federführenden Binnenmarktausschusses über den Berichtsentwurf zum Richtlinienvorschlag über bestimmte vertragliche Aspekte des Online- und sonstigen Fernabsatzes von Waren ("Warenvorschlag", KOM(2015)0635).

Europäisches Parlament legt hohe Maßstäbe an zukünftiges Gewährleistungsrecht.Nachdem die vorherigen Ansätze gescheitert waren, das Europäische Vertragsrecht weiter zu harmonisieren, wagte sich die EU-Justizkommissarin, Věra Jourová, Ende 2016 mit zwei Vorschlägen aus der Deckung: Einem Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung der Gewährleistungsrechte bei dem Erwerb digitaler Inhalte sowie dem nunmehr angenommenen Warenvorschlag.

Der Warenvorschlag konzentriert sich vor allem auf die weitere Harmonisierung der Ansprüche des Verkäufers bei Mangelhaftigkeit der Waren. Neben der Definition des Mangels schlug die Europäische Kommission eine Anpassung der Vorschriften zur Nacherfüllung und der Gewährleistungsrechte "Minderung" und "Rücktritt" vor.

Insgesamt orientierte sich der Vorschlag stark an dem bislang in Deutschland geltenden Gewährleistungsrecht. Hauptkritikpunkt war jedoch aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES insbesondere der vorgeschlagene Gleichlauf der Gewährleistungsfrist, also der Frist innerhalb derer ein Verbraucher die Mangelhaftigkeit der Kaufsache gegenüber dem Verkäufer geltend machen kann, und der Frist zur Beweislastumkehr. Letztere beschreibt den Zeitraum, innerhalb derer vermutet wird, dass ein Mangel an der Kaufsache bereits bei Gefahrübergang vorlag. Beide Fristen sollten nach der Vorstellung der EU-Kommission zwei Jahre betragen. Zudem beschränkte sich der ursprüngliche Richtlinienvorschlag zunächst nur auf den Online-Handel – eine Tatsache, die gerade mit Blick auf das Multichannel-Konzept vieler Verbundgruppen schlichtweg keinen Sinn machte. DER MITTELSTANDSVERBUND nahm dies zum Anlass, um in einer detaillierten Stellungnahme auf die einzelnen Kritikpunkte einzugehen. Auch das Europäische Parlament kritisierte früh diesen "eingleisigen" Ansatz einer Regelung, die stationäre Kaufverträge ausschloss.

Diese Kritik aufgreifend, änderte die Europäische Kommission ihren Ansatz einer Regelung ausschließlich für den Online-Handel. Ende letzten Jahres wurde der Vorschlag um Offline-Kaufverträge erweitert.

Am 22. Februar einigten sich die Europaparlamentarier des zuständigen Binnenmarktausschusses auf ihre Ausrichtung hinsichtlich des Kommissionsvorschlags.

Wesentliche Punkte des Kompromisses sind:

• die Einführung einer EU-weiten Gewährleistungsfrist von zwei Jahren,

• Mitgliedstaaten, die bereits eine längere Gewährleistungsfrist haben, sollen diese jedoch beibehalten können,

• die Erhöhung der Beweislastumkehr auf ein Jahr (anstatt der aktuell geltenden sechs Monate),

• die Möglichkeit, kürzere Fristen für gebrauchte Waren zu vereinbaren, wenn der Käufer die Möglichkeit hatte, das Produkt zu prüfen,

• der Neubeginn der Gewährleistungsfrist für im Rahmen der Nachbesserung ausgetauschte Komponenten,

• die Pflicht der Durchführung der Reparatur oder Ersatzlieferung innerhalb eines Monats – eine erfolglose Firstsetzung soll die Berechtigung des Käufers auslösen, den Kaufpreis zu mindern oder vom Kaufvertrag zurückzutreten,

• kein Nutzungsersatz im Rahmen des Rücktritts bei normaler Nutzung der Kaufsache.

Das Europäische Parlament geht daher in vielen Bereichen über das hinaus, was die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hat. Hierbei ist vor allem der äußerst verbraucherfreundliche Ansatz unverständlich. Die Verschiebung der Rechte hin zum Verbraucher wird zwangsläufig zu einer neuen Preiskalkulation der Händler führen. Die bereits heutzutage geringen Margen im Handel drohen durch eine Erweiterung der Verbraucherrechte weiter zu schmelzen.

Auch die fehlende Möglichkeit, einen Nutzungsersatz im Falle eines Rücktritts durch den Verbraucher zu verlangen, wird zu erheblichen Mehrkosten bei den Händlern führen. Insbesondere bei verschleißanfälligen Waren – wie beispielsweise Kraftfahrzeugen oder anderen Maschinen – bleiben die Händler also zukünftig auf den Kosten einer gewöhnlichen Abnutzung sitzen. Dem Verbraucher stünde somit neben seinen bereits bestehenden Widerrufsrechten eine weitere kostengünstige Möglichkeit zur Seite, sich von einem Vertrag zu lösen.

Auf der anderen Seite steht dieser Verschiebung kein wirklicher Mehrwert für den Handel gegenüber. Denn das erklärte Ziel der EU-Kommission einer weiteren Harmonisierung der Gewährleistungsrechte der Mitgliedstaaten und die damit erhoffte Erleichterung für den grenzüberschreitenden Handel wurde nicht erreicht. Durch die im EP-Bericht vorgesehene Öffnungsklausel hinsichtlich längerer Gewährleistungsfristen durch die Mitgliedstaaten müsste ein Händler auch weiterhin mit unterschiedlichen Verbraucherrechten arbeiten, möchte er ins EU-Ausland verkaufen. Eine Verringerung der Rechtsberatungskosten wäre damit nicht erreicht.

Hingegen konnten sich die wirtschaftsfreundlichen Stimmen im Europaparlament in einem Punkt durchsetzen: der verpflichtenden Einführung von Lebensdauerangaben von Produkten. So hatten vor allem die grünen EU-Abgeordneten gefordert, dass zukünftig jedes energieverbrauchende Produkt mit einer solchen Aussage versehen werden sollte. Diese Aussage sollte als Herstellergarantie verstanden werden. Was vornehmlich ein Hersteller-Ärgernis darstellte, entpuppte sich auf den zweiten Blick auch als ein Händlerproblem: Verstünde man diese Aussage über die Produkt-Lebensdauer als eine Verkehrsfähigkeitsvorschrift, hätten Produkte ohne ein solche Kennzeichnung nicht vertrieben werden dürfen. Für den Handel stand mithin eine nicht unerhebliche Prüfpflicht im Raum, die zumindest in Deutschland auch eine Erhöhung des Abmahnrisikos dargestellt hätte.

Schlussendlich ist es nicht dazu gekommen. Jedoch: Auch der Rat der EU (als zweites Gesetzgebungsorgan) diskutiert die Vorteile einer solchen Lebensdauerangabe. Jüngst übersandte DER MITTELSTANDSVERBUND dem Bundeswirtschaftsministerium hierzu eine Stellungnahme, um auf die negativen Folgen einer solchen Verpflichtung hinzuweisen. Zudem werden anlässlich der geplanten Novellierungen der europäischen Produkt-Design-Vorschriften ähnliche Ansätze aus dem Europäischen Parlament kommen. Die Diskussion ist mithin nur vertagt.

Ein abschließender Standpunkt des Rates zu diesem Dossier ist nicht vor Mitte 2018 zu erwarten. Die Mitgliedstaaten äußern sich teilweise sehr kritisch zu dem Vorhaben als solches, geht es doch bei dem Gewährleistungsrecht um eines der Kernbereiche nationaler Gesetzgebung.

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