Neuer Vorschlag zum TTIP-Investorenschutz: Wird jetzt alles gut?

Nachdem eine heftige Diskussion über die Notwendigkeit und die Ausgestaltung eines Investorenschutzes im Rahmen von TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) entbrannt ist, hat die Kommission einen neuen Vorschlag vorgelegt – wohl auch, um den steigenden Widerstand der Mitgliedstaaten zu beseitigen.

Brüssel, 16.09.2015 — Der erste Kommissions-Vizepräsident, Frans Timmermanns, bezeichnete den neuen Vorschlag als Neuland in Sachen internationaler Abkommen. Tatsächlich beinhaltet der Vorschlag, den die EU-Kommission am 16. September vorgelegt hat, viele Aspekte, die in dieser Tiefe in keinem anderen Freihandelsabkommen der EU vorkommen.

Investorenschutz

Die vorgestellten Ansätze beziehen sich ausschließlich auf den Bereich "Investorenschutz". Einem Unternehmen oder Investor soll so die Möglichkeit gegeben werden, neben dem ordentlichen Rechtsweg des jeweiligen Mitgliedstaats alternativ den Investor-Staat-Streitbeilegungs-Mechanismus (Investor-State-Dispute-Settlement, ISDS) in Anspruch nehmen können.

Der Begriff "Investition" wird dabei sehr weit gefasst: Er umfasst die Eröffnung eines Unternehmens, die (finanzielle) Beteiligung an einem Unternehmen sowie das Recht an einem oder den Anspruch gegen ein Unternehmen.

Faire und gerechte Behandlung

Nach der Auffassung der Kommission sollen US-Investoren in der EU fair und gerecht behandelt werden. Im Gegensatz zu früheren Ansätzen der Kommission sollen diese unbestimmten Begriffe jetzt weiter ausdefiniert werden. Danach soll ein Verstoß gegen den Grundsatz der fairen und gerechten Behandlung etwa in diesen Fällen vorliegen:
  • Verweigerung des rechtlichen Gehörs, unabhängig vom Rechtsweg (Strafrecht, öffentliches Recht, Zivilrecht),
  • Verstoß gegen allgemeine Verfahrensgrundsätze,
  • Willkür,
  • gezielte Diskriminierung,
  • unrechtmäßige Ausübung staatlichen Zwangs.
Der Grundsatz der fairen und gerechten Behandlung soll durch ein noch näher zu bestimmendes transatlantisches Gremium erweitert werden können. Dies wird wohl der geplante Regulatorische Rat sein.

Der Vorschlag der Kommission stellt weiter fest, dass eine unfaire oder ungerechte Behandlung nicht in Betracht kommt, wenn die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Verfolgung legitimer Ziele ergreifen. Als legitim werden beispielhaft aufgezählt:
  • Schutz der öffentlichen Gesundheit,
  • Umweltschutz,
  • Öffentliche Ordnung,
  • Soziale Sicherheit,
  • Verbraucherschutz,
  • Schutz und Förderung der kulturellen Vielfalt.
Weiter macht der Vorschlag klar, dass die Regelungen über den Investorenschutz nicht als Verpflichtung der Mitgliedstaaten verstanden werden sollen, in Zukunft keine für Investitionen erheblichen gesetzlichen Maßnahmen mehr zu treffen.

Entscheidungen nach nationalen und europäischen Beihilfenrecht sollen nicht unter den Investorenschutz fallen.

Enteignung

Enteignungen sollen nach dem neuen Vorschlag nur rechtmäßig sein, wenn sie:
  • einen öffentlichen Zweck verfolgen,
  • das entsprechende Verfahren eingehalten wurde,
  • nicht-diskriminierend erfolgte und
  • eine Entschädigung gezahlt wurde.
Die Entschädigung muss dem üblichen Marktwert zum Zeitpunkt der Enteignung entsprechen.


Der Streitbeilegungsmechanismus

Sieht sich ein Investor in den eben erläuterten Rechten durch staatliches Handeln verletzt, kann er das Schiedsgericht anrufen. Dieses soll aus qualifizierten und zuverlässigen Berufsrichtern bestehen, die von beiden Vertragsparteien – USA und EU – besetzt werden. Insgesamt sind 15 Berufsrichter angedacht – fünf aus den USA, fünf aus der EU und fünf aus einem Drittstaat. Das Schiedsgericht – oder Gericht erster Instanz – soll sich eine eigene Gerichtsordnung geben können.

Die außergerichtliche Streitbeilegung zwischen den Parteien des Verfahrens soll jederzeit möglich sein. Den Mediator sollen die Parteien hierbei selber festlegen.

Die gleichzeitige Klage vor einem nationalen und dem Gericht erster Instanz soll nicht möglich sein. Wird vor einem nationalen Gericht geklagt und ein Investorenschutz angestrebt, muss die Klage vor dem nationalen Gericht zunächst zurückgenommen werden. Gleichwohl soll es möglich sein, auch nach einer letztinstanzlichen Entscheidung eines nationalen Gerichts vor dem Schiedsgericht Klage zu erheben.

Die Richter können dem Kläger lediglich einen Schadensersatzanspruch zusprechen. Die entstandenen Kosten sind von der unterliegenden Partei zu zahlen – jedoch lediglich in der Höhe in der sie angemessen sind.

Als weiteres neues Element soll die Schiedsgerichtsbarkeit eine Berufungsmöglichkeit erhalten. Das Berufungsgericht kann die Tatsachengrundlage sowie die rechtliche Wertung des Gerichts erster Instanz überprüfen.

Fazit

Der neue Vorschlag der EU-Kommission ist der Versuch, auf die in der jüngsten Vergangenheit erhobenen Kritikpunkte aus Gesellschaft und Politik einzugehen. Auch die Bundesregierung – allen voran Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel – hatte eine Institutionalisierung der Schiedsgerichtsbarkeit gefordert.

Die Definitionen von fairer und gerechter Behandlung wurden klarer gefasst – jedoch gleichzeitig unter den Vorbehalt späterer Änderungen gestellt. Dennoch könnten die Definitionen helfen, rechtsmissbräuchliche Klagen und ein damit verbundenes Haftungsrisiko der öffentlichen Hand von vornherein auszuschließen. Wichtig ist auch die Klarstellung, dass legitime Zielsetzungen der Mitgliedstaaten Maßnahmen, die Investitionen beeinträchtigenden, rechtfertigen können – das right to regulate könnte damit klarer zum Ausdruck kommen.

DER MITTELSTANDSVERBUND hatte ebenfalls gefordert, dass ein Schiedsgericht auf eine solidere Basis gestellt werden muss. "Beim Verhältnis der nationalen Gerichte zu dem Schiedsgericht besteht allerdings noch Nachbesserungsbedarf", sagt der Leiter des MITTELSTANDSVERBUND-Büros in Brüssel, Tim Geier. "Ohne eine entsprechende Klarstellung könnte ein Investor bei einer für ihn ungünstigen letztinstanzlichen Entscheidung eines nationalen Gerichts noch zwei weitere Instanzen anrufen", so Geier. Ob das dann im Ergebnis der Rechtssicherheit dient, sei mehr als fraglich.

Der Vorschlag der Kommission ist noch kein offizielles Verhandlungsangebot. Er wird zunächst im EU-Ministerrat besprochen werden bevor er den USA vorgelegt wird.

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