Rückblick: Was war 2015 in Brüssel?

2015 war ein Jahr der Planung in Brüssel. Doch was ist in der EU-Politik sonst noch passiert? Was erwartet den kooperierenden Mittelstand in 2016?

Brüssel, 18.12.2015 — Nach der Verinnerlichung des Juncker-Konzepts und der daraus folgenden Umstrukturierung der Kommissions-Dienststellen wurden in diesem Jahr wichtige Konzepte vorgestellt, die den kooperierenden Mittelstand in vielen Bereichen betreffen werden. Im Folgenden daher ein kurzer Überblick über die wichtigsten EU-Themen aus 2015.

Der Digitale Binnenmarkt

Europäische Kommission mit Kommissionschef Junker (2015)Im Mai dieses Jahres stellte die Europäische Kommission ihren Plan zur Verbesserung der Bedingungen im digitalen Binnenmarkt vor. Hinter diesem Konzept stand zunächst die Erkenntnis, dass der digitale Binnenmarkt nur eingeschränkt funktioniert: Zwar shoppen bereits viele Verbraucher online, dies jedoch nur im eigenen Land. Auch viele Unternehmer würden sich geographisch abschotten – so die Einschätzung der Europäischen Kommission.
Die Digitale Agenda soll daher in vielen Bereichen Abhilfe schaffen.

Dabei setzt die Kommission auf eine Vereinheitlichung der immer noch bestehenden rechtlichen Unterschiede in den Mitgliedstaaten. Für Händler sollen damit die rechtlichen Unsicherheiten sowie die noch bestehenden Verwaltungslasten abgebaut werden. Verbraucher sollen durch transparente Vorschriften mehr Vertrauen in den digitalen Europäischen Binnenmarkt bekommen. Am Ende erhofft sich die Kommission einen positiven Anschub des Wachstums in ganz Europa.

Auch DER MITTELSTANDSVERBUND spricht sich für eine weitere Vereinheitlichung der bestehenden Vorschriften aus. Der kooperierende Mittelstand hat in vielen Fällen schlichtweg nicht die personellen und sachlichen Ressourcen, die aus einem grenzüberschreitenden Handel resultierenden administrativen Lasten zu bewältigen. Wichtig ist nur, dass aus dem Angebot der Kommission, bestehende Hindernisse abzubauen, nicht der Anspruch gegenüber den Händlern aufgebaut wird, auch europaweit ihre Waren anbieten zu müssen. Auch die Digitale Agenda vermag es nicht, alle Hindernisse im Binnenmarkt zu beseitigen. Aus diesem Grund sollte es den Händlern überlassen bleiben, wann ein europaweites Angebot ihrer Waren tatsächlich wirtschaftlich sinnvoll ist. DER MITTELSTANDSVERBUND hat bereits in Gesprächen mit der Europäischen Kommission darauf hingewiesen, dass die Vertragsfreiheit – auch die negative – unerlässliche Grundvoraussetzung des Handels im Binnenmarkt bleiben muss.

Neues EU-Verbraucherrecht

Erste Schritte im Sinne der Digitalen Agenda wurden tatsächlich noch vor Ende diesen Jahres getan: In der ersten Dezemberhälfte stellte die Kommission ihren Vorschlag für eine weitere Vereinheitlichung der EU-Verbraucherrechte vor. Bedenkenswert ist dabei vor allem der Ansatz, diese Regeln nur auf den Online-Handel beschränken zu wollen. Zwar stimmt der Vorschlag im Grundsatz mit dem deutschen Gewährleistungsrecht überein, dennoch könnten sich hieraus zwei unterschiedliche rechtliche Beurteilung von Online-Geschäften und Geschäften im stationären Handel ergeben. In Zeiten von Multi- bzw. Omni-Channel sollen bestehende Vertriebsstrukturen doch gerade aufgebrochen werden. Der Kunde soll auf allen Kanälen auf seinen Händler zugehen können – und das in allen Phasen des Geschäfts. Unterschiedliche rechtliche Betrachtungen, abhängig vom Vertriebskanal, sind daher eher ein Relikt aus vergangenen Zeiten und zeugt von wenig Weitblick aufseiten der Kommission. Diese beteuert zwar, dass ein umfassender Ansatz im EU-Verbraucherrecht gerade mit Blick auf harschen Widerstand der Mitgliedstaaten derzeit nicht realistisch erscheint. DER MITTELSTANDSVERBUND ist jedoch der festen Überzeugung, dass dieser steinige Weg notwendig ist. Nur mit einer wirklichen Harmonisierung in diesem Bereich könnte dem kooperierenden Mittelstand geholfen werden.

Datenschutzgrundverordnung

Dieser Vorschlag hatte es in sich: Die Datenschutzgrundverordnung hat ein Europäisches Parlament und eine Kommission verschlissen. Bereits in der letzten Legislaturperiode vorgestellt, wurde er Anfang des Jahres zunächst totgesagt. Mitte des Jahres nahmen die Diskussionen zwischen Rat und EP jedoch wieder an Fahrt auf – dies war bereits in der Digitalen Agenda vorgesehen.

Am 15. Dezember einigten sich die beiden Institutionen dann auf einen endgültigen Text. Nach der formellen Annahme werden einheitliche Regeln zum Datenschutz gelten. Da es sich um eine Verordnung handelt, kann diese direkt angewendet werde und bedarf keiner weiteren Umsetzung in deutsches Recht. Für den kooperierenden Mittelstand waren besonders die geplanten Informationspflichten von Bedeutung. Werden personenbezogene Daten von einem Unternehmen verarbeitet, löst diese eine Reihe von Informationspflichten gegenüber dem Inhaber der Daten aus. Wichtig auch: Wie im deutschen Recht bleibt es dabei, dass die Weitergabe von Daten an Dritte einer eindeutigen Zustimmung des Dateninhabers bedarf. Daneben können aber auch besondere Interessen eine Weitergabe an Dritte rechtfertigen. Falls die Weitergabe von Daten zur Erfüllung eines Vertrages notwendig ist, ist auch dies nach den neuen Regeln möglich. Die bestehenden Modelle im kooperierenden Mittelstand können damit weiter aufrechterhalten werden. In 2016 ist es nun die Aufgabe des MITTELSTANDSVERBUNDs, praxisnahe Lösungen zu finden, um vor allem den Anschlusshäusern den Umgang mit der Datenschutzgrundverordnung zu erleichtern.

Digitaler Binnenmarkt verschärft Lage im Wettbewerbsrecht

Mit der zunehmenden Digitalisierung des Handels kristallisiert sich heraus, dass das bestehende nationale und europäische Wettbewerbsrecht dringend einer Überarbeitung bedarf. Geht der Kunde online einkaufen, erwartet er klare Aussagen über den Preis eines Produktes. Filialisierten Unternehmensstrukturen ist es ein leichtes, auch online einheitliche Preise aufzurufen. Dem kooperierenden Mittelstand ist es hingegen verwehrt, gleich ob online oder stationär einheitliche Preise für alle Anschlusshäuser festzulegen. Die damit einhergehende schwere Vermittelbarkeit unterschiedlicher Preise ist ein klarer Nachteil in der Kommunikation gegenüber dem Verbraucher.

DER MITTELSTANDSVERBUND macht sich daher seit langem dafür stark, das bestehende Wettbewerbsrecht aufzubrechen. Zusammen mit dem Europäischen Dachverband selbstständiger Einzelhändler – Independent Retail Europe – werden derzeit die Möglichkeiten eruiert, wie man dieses Thema gegenüber der Europäischen Kommission kommunizieren sollte. Vor allem ein stärkerer Fokus auf die ökonomische Notwendigkeit einer weiteren Öffnung des Wettbewerbsrechts wird dabei eines der Hauptaufgaben werden. Rückendeckung gab dabei jüngst das deutsche Bundeskartellamt. So überlegt der oberste Wettbewerbshüter in Deutschland, Leilinien für die Möglichkeiten der Preisgestaltung in vertikalen Vertriebsstrukturen zu erarbeiten. Auch hier wird sich DER MITTELSTANDSVERBUND im Sinne seiner Mitglieder in die Diskussion einbringen.

Neue Binnenmarkstrategie

Die Europäische Kommission stellte im November zudem ihre Vorschläge zur Stärkung des "stationären" Binnenmarktes vor. Viele Themen überschneiden sich dabei mit den bereits in der Digitalen Agenda vorgestellten Plänen der Kommission. Dennoch ticken auch hier ein paar "Bomben". So wird die Ankündigung der Kommission, die Vereinheitlichung des materiellen Insolvenzrechts voranzutreiben, genauestens im Auge behalten zu sein. Vor allem der Ansatz, Unternehmer schnell und einfach Möglichkeiten eine Restschuldbefreiung zu bieten, sieht DER MITTELSTANDSVERBUND kritisch. Falls solche Ansätze verfolgt werden, muss klar das unternehmerische Risiko in Ansatz gebracht werden.

Eine Entschuldung muss immer an objektive Kriterien gebunden werden. Ansonsten werden sich viele Gläubiger im kooperierenden Mittelstand durch allzu einfache Entschuldungsmöglichkeiten schnell selber auf der Schuldnerseite wiederfinden, da sie durch Zahlungsausfälle ihre eigenen Verbindlichkeiten nicht bedienen können. Auch die in der Binnenmarktstrategie angekündigten Maßnahmen zur Verbesserung der Investitionstätigkeiten von Unternehmen werden genauestens zu beobachten sein. Hier dürfen keine Hindernisse für die Mittelstandsbanken - als Hauptfinanzierungsquelle des kooperierenden Mittelstands - aufgebaut werden. Die ersten konkreten Vorschläge auf Grundlage der Binnenmarktstrategie sind für das Frühjahr 2016 angekündigt.

Energiekennzeichnung

Die Europäische Kommission stellte im Sommer 2015 einen Vorschlag zur Überarbeitung der bestehenden Energieeffizienz-Kennzeichnung vor. Die bestehende A++ - Skalierung soll auf eine Kennzeichnung zwischen A bis G zurückgeführt werden. Hintergrund ist nach Aussage der Kommission das fehlende Verständnis seitens der Verbraucher. Bereits diese Aussage ist zweifelhaft, hat sich die bestehende Kennzeichnung nicht zuletzt im kooperierenden Mittelstand als probates Marketinginstrument herausgestellt. DER MITTELSTANDSVERBUND setzt sich in der Kommunikation mit dem Misterrat der EU sowie mit dem Europaabgeordneten derzeit für praxisnahe Lösungen und eine gerechte Lastenverteilung ein. Es kann nicht sein, dass grundlegende Herstellerverantwortlichkeiten auf die Händler verschoben werden. Letztverantwortlicher für eine ordnungsgemäße und umfassende Auszeichnung von Produkten muss der Hersteller als In-Verkehr-Bringer des Produktes sein. Die Diskussion wird derzeit im Europaparlament mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit geführt. Erste Ergebnisse sind bereits für Anfang nächsten Jahres zu erwarten.

Steuerwettbewerb in den Mitgliedstaaten

Leider zeigt die Realität, dass viele große und multinational agierenden Unternehmen immer noch Steuerstrategien fahren können, die eine zum Teil verschwindend geringe Besteuerung ihrer Gewinne ermöglichen. Dies ist vor allem durch das Steuerrecht einiger Mitgliedstaaten der EU bedingt, die ausgeschlossen offen gegenüber solchen Unternehmensstrukturen zu sein scheinen. Das Europäische Parlament hatte deshalb einen Sonderausschuss einberufen, der diese Praktiken von Unternehmen und Staaten genauer unter die Lupe nahm. Im Dezember wurde dann der Endbericht dieses Sonderausschusses veröffentlicht. Dieser enthielt bereits einige Empfehlungen an die Mitgliedstaaten aber auch an die EU-Institutionen, wie in dieser Sache weiter verfahren werden sollte. DER MITTELSTANDSVERBUND hatte sich über seinen europäischen Dachverband – Independent Retail Europe – bereits früh in die Diskussion eingebracht.

In einer Anhörung vor den Europaabgeordneten konnte dann auch verdeutlicht werden, welche negativen Auswirkungen die bestehenden Schlupflöcher in den nationalen Steuerrechten der Mitgliedstaaten für die Unternehmer vor Ort bedeuten. Da der Ausschuss nunmehr neu aufgelegt wird und seine Arbeit daher vertiefen kann, wird DER MITTELSTANDSVERBUND seine Position als Ansprechpartner der Abgeordneten nutzen, um für mehr Steuergerechtigkeit in der EU zu werben.

Hochrangige Gruppe für die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelhandels


Die Europäische Kommission hatte bereits 2013 die Hochrangige Gruppe für die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelhandels ins Leben gerufen. Dort versammelte sie Fachleute aus Praxis und Wissenschaft. Mit Hilfe des MITTELSTANDSVERBUNDES wurde Günther Althaus, Vorsitzender des Vorstandes der ANWR Group eG und Präsidiumsmitglied des Verbandes, in den Expertenkreis berufen.

Die Hochrangige Gruppe beschäftigte sich mit der Frage, wie die zukünftige Politik der EU ausgestaltet werden muss, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU in den Bereichen E-Commerce, KMU, Innovation und Beschäftigungsbedingungen zu steigern. Der im Sommer veröffentlichte Endbericht zeigte dann auch eindrucksvoll und sehr detailliert, welche Kanckpunkte zur Bewältigung dieser Aufgabe angegangen werden müssen. Dieser greift viele Punkte auf, die auch die Kommission in ihren bereits genannten Strategien in Angriff nehmen möchte – wenn auch anderen Ansätzen und Schwerpunkten, als die EU-Kommission. Die Aufgabe des MITTELSTANDSVERBUNDES wird daher auch sein, die Kommission von der Notwendigkeit der in dem Bericht aufgestellten Forderungen zu überzeugen.

Fazit und Ausblick

Auch wenn wenige konkrete Gesetzesvorhaben vorgestellt bzw. beendet worden sind, hat DER MITTELSTANDSVERBUND das Jahr 2015 genutzt, um die Strategien der Kommission für die weitere Legislaturperiode im Sinne des kooperierenden Mittelstands zu beeinflussen. Unterstützt durch die Forderungen der Hochrangigen Gruppe für die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelhandels, konnte daher viele wichtige Weichen im Sinne des kooperierenden Mittelstands gestellt werden. 2016 wird ein Jahr der Umsetzung dieser Strategien werden. Hierbei wird sich zeigen, ob die Kommission ihre selbst gestellten Ansprüchen auch gerecht werden kann. Kommissionspräsident Juncker hat bereits bei seinem Amtsantritt im Jahr 2014 angekündigt, die Politik der Kommission auf die Schaffung von Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze auszurichten – ohne den kooperierenden Mittelstand dabei angemessen zu berücksichtigen, wird dieses Vorhaben hingegen schwer zu erreichen sein.

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