So will sich Großbritannien von der EU trennen

Die neue britische Premierministerin Theresa May hat ihren Plan vorgelegt, wie der „geordnete Rückzug“ Großbritanniens aus der EU aussehen könnte – ob die Erfolgsstory tatsächlich eintritt, bleibt fraglich.

Brüssel, 09.02.2017 – Der Brexit nimmt allmählich Gestalt an. Nachdem das House of Commons, das Unterhaus des britischen Parlaments am Abend des 8. Februar mehrheitlich einem baldigen Beginn der EU-Austrittsverhandlungen zugestimmt hat, scheinen die letzten formellen Hürden gegen den Brexit genommen. Damit ist der Weg frei für die britische Regierung, die im März den Antrag nach Artikel 50 EU-Vertrags stellen soll und damit die Brexit-Verhandlungen offiziell einleiten wird.

Im Vorfeld hatte Premierministerin Theresa May bereits skizziert, wie der Austritt nach ihren Vorstellungen vollzogen werden soll. Erfolgreiche Verhandlungen voraussetzen – dies ist der Plan der britischen Regierungschefin.

Transformation der Rechtslage

Wie genau das aussehen soll, umreißt die Regierung In einem Weißbuch. Eines der Hauptziele ist dabei die Schaffung von Rechtsklarheit. Denn durch die 44 Jahre EU-Mitgliedschaft hat sich die britische Rechtsordnung eng mit dem gemeinsamen EU-Besitzstand verflochten. Eine der drängendsten Fragen war daher aktuell die, welches Recht einen Tag nach dem EU-Austritt in Großbritannien gelten soll.

Die britische Regierung hat hierzu bereits die „Great Repeal Bill“ vorgelegt. Nach diesem Gesetzesvorschlag soll zunächst formell alle Autorität, die Großbritannien auf die EU übertragen hatte, auf ersteren zurückgeführt werden. In einem zweiten Schritt werden alle EU-Regeln dann zunächst Teil des englischen Rechts. Hierzu sollen alle europäischen Regelungen auf dem Status Quo eingefroren werden.

Rechtssicherheit

In einem weiteren Schritt soll danach bestimmt werden, welche Vorschriften langfristig britisches Recht bleiben und welche Vorschriften ersetzt werden. Logischerweise müsste dann in einer Vielzahl von Regelungs-Gebieten neue Vorschriften geschaffen werden – eine Aufgabe, die bestimmt mehrere Jahre in Anspruch nehmen dürfte.

Die Zielsetzung ist klar: Durch ein Einfrieren auf dem Status Quo soll vor allem für Unternehmen Rechtssicherheit geschaffen werden. Der Schönheitsfehler dieser ansonsten vernünftigen Vorschrift liegt jedoch im Detail: Jährlich erlässt die Europäische Kommission eine Vielzahl von Durchführungsverordnungen. Diese Rechtsakte legte zumeist technische Standards aber auch konkrete Verpflichtungen fest, wie es etwa bei der Energie-Effizienz-Kennzeichnung der Fall ist. Gerade im Bereich Produktkennzeichnung und Produktsicherheit dürften zukünftig doppelte Standards zu beachten sein.

Dies ergibt sich bereits aus den weiterhin im Weißbuch beschriebenen Regelungsbereichen: Freier Handel und Rechtsprechung.

Freihandel

Die britische Regierung macht nämlich unmissverständlich klar, dass jeglicher Warenaustausch mit der EU Gegenstand eines Freihandelsabkommens werden muss – die verbleibenden EU-Staaten sehen das im Übrigen nicht anders.

Zwar solle der zollfreie Warenverkehr in jedem Fall gewährleistet sein. In Bezug auf (Produkt-) Standards soll dies jedoch lediglich so weit wie möglich erfolgen. Mit anderen Worten: Großbritannien wird sich zukünftig das Recht vorbehalten, von der EU abweichende Vorschriften zu erlassen.

Rechtsprechung

Weiterhin wird mit Blick auf die bestehenden EU-Regeln fraglich sein, wie die Briten dieses zukünftig auslegen werden. In Streitfällen hat der Europäische Gerichtshof die Letztentscheidungskompetenz. Diesen möchte England jedoch zukünftig nicht mehr anerkennen.

Auch wenn also mit dem EU-Recht identische Regelungen auch in Großbritannien weiter bestehen würden, könnten diese Vorschriften durch englische Rechtsprechung völlig anders ausgelegt werden, als vom EuGH in ähnlichen Fällen – Rechtssicherheit sieht nach weit verbreiteter Auffassung anders aus.

Freizügigkeit

Allen vorherigen Mutmaßungen zum Trotz wird Großbritannien die Grenzen weitestgehend „dicht machen“. Mit anderen Worten wird das verbriefte Recht der EU-Bürger auf freien Personenverkehr und damit auch das Recht auf freie Dienstleistung für England nicht mehr gelten.

Was in England lebende und arbeitende EU-Bürger angeht, so möchte sich die britische Regierung für die Sicherung ihres Status einsetzen. Mit anderen Worten: in den Verhandlungen könnte das Wohl von rund 2,8 Mio. in der UK lebenden EU-Bürger zur Verhandlungsmasse mit den EU-Mitgliedstaaten werden.

Ein Wermutstropfen bleibt: Zumindest Studenten sollen bis einschließlich 2018 nach den bisherigen Regeln in England studieren können.

Kleine Union

In dem Weißbuch besinnt sich die englische Regierung auf die Tatsache, dass England ja selber eine „kleine Union“ ist: England, Schottland, Wales und Nordirland sind teile Großbritanniens – mit der Regierung in London als Oberkompetenz – so das Weißbuch. Geschickt wird dargestellt, dass die Schaffung von Regionalparlamenten nicht zu dem Schluss führen solle, dass Schottland etwa über Materien das gesamte UK-Gebiet betreffend bestimmen könnte. Autoritäts- und gar Separationsgedanken, wie sie etwa vom schottischen Regionalparlament jüngst erneut geäußert wurden, soll damit ein Riegel vorgeschoben werden.

Die britische Regierung geht noch einen Schritt weiter: Der freie Personenverkehr mit Irland solle weiterhin bestehen bleiben. Bei den Austrittsverhandlungen solle weiterhin das einzigartige ökonomische, soziale und politische Verhältnis zum Nachbarland berücksichtigt werden. Ob die EU zulassen wird, dass Irland zukünftig eine „grüne Grenze“ zu einem EU-Drittstaat werden kann, ist mehr als zweifelhaft.

Fazit

Das Papier ist voll von schönen Sätzen und vielversprechenden Tabellen – inhaltlich hält es sich eher vage. Es muss zugegeben werden, dass sich viele Diskussionen um mögliche Brexit-Szenarien auflösen. Wichtige Detailfragen bleiben jedoch weiterhin ungeklärt.

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