Transatlantischer Freihandel: Neue Ansätze zur Schiedsgerichtsbarkeit

Der Investorenschutz ist eines der Streitpunkte in den geplanten Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat am 23. Februar bei einer Veranstaltung in Berlin für ein ausgeglichenes Verhältnis der Interessen geworben.

Brüssel, 02.03.2015 — Wie viele Rechte sollen Investoren im transatlantischen Handel eingeräumt werden? Dies ist eine der Kernfragen, um die es in den Diskussionen über die geplanten Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) geht. Auch der Bundeswirtschaftsminister, Sigmar Gabriel, hat sich dieser Frage angenommen. Am 23. Februar stellte er in Berlin einen neuen Ansatz vor, der für ein ausgeglichenes Verhältnis der Interessen von Investoren auf der einen und dem Regulierungsrecht von Staaten auf der anderen Seite führen könnte.

Vor dem Willy-Brandt-Haus war am 23. Februar 2015 dicke Luft. Rund 150 Gegner des transatlantischen Freihandels hatten sich vor der Parteizentrale versammelt, um auf die möglichen Risiken der geplanten Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA hinzuweisen. Drinnen tauschte sich währenddessen der Wirtschaftsminister mit Vertretern aus Politik, Forschung und Wirtschaft sowie der EU-Handelskommissarin, Cecilia Malmström, aus.

Das die geplanten Abkommen nicht zu einer Absenkung der europäischen Verbraucher, Umwelt- und Arbeitsstandards führen sollen, ist allen Beteiligten klar. Doch was heißt das genau? Wie sieht es etwa mit der geplanten Möglichkeit für Investoren aus, Diskriminierungen und unfaire Behandlungen durch Staaten vor Schiedsgerichten geltend zu machen? In Frage steht in diesem Zusammenhang nicht nur die Haushaltshoheit (Investorenklagen sind auf die Kompensation entgangener Gewinne gerichtet, am Ende müsste also der Steuerzahler für Urteile zugunsten von Investoren aufkommen), sondern auch die Kompetenz von Staaten, Sachverhalte in der einen oder anderen Art und Weise zu regeln. Kritiker des Freihandels befürchten nämlich, dass es sich Staaten zweimal überlegen werden, eine Regelung zu treffen, wenn abzusehen ist, dass Investoren dagegen vor Schiedsgerichten vorgehen werden.

Besonders die geplante Besetzung von Schiedsgerichten durch Private ist den Kritikern ein Dorn im Auge. Mangels der erforderlichen Unabhängigkeit der Schiedsrichter stehe zu befürchten, dass diese im Zweifel eher Urteile zugunsten der Wirtschaft und damit zum Nachteil der Staaten treffen würde.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich dem Thema angenommen und mit seinen sozialdemokratischen Kollegen aus anderen europäischen Mitgliedstaaten ein neues Konzept erarbeitetet, welches er anlässlich der vergangenen Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus vorstellte.

Der Gefahr der Parteilichkeit der Schiedsgerichte möchte Gabriel insbesondere dadurch begegnen, dass die Schiedsgerichte institutionalisiert werden. Im besten Fall soll ein Schiedsgerichtshof entstehen, der aus einem vorab bestimmten Pool von Richtern und Rechtsgelehrten der Vertragsparteien besetzt werden soll. Zudem soll sich ein Investor entscheiden müssen, ob er vor ordentlichen oder dem Schiedsgericht klagt. Dafür soll auch in Schiedsgerichtsverfahren eine Rechtsmittelinstanz zur Überprüfung von erstinstanzlichen Urteilen geschaffen werden.

Auch materiell-rechtlich plädiert Gabriel für Neuerungen:

  • So soll die nachträgliche Änderung von Gesetzen keinen Klagegrund darstellen.
  • Auch Standards sollen nachträglich geändert werden, ohne dass damit der Rechtsweg zum Schiedsgericht eröffnet werde.
  • In keinem Fall sollen ausländische Investoren durch Schiedsgerichte besser gestellt werden, als inländische Investoren.

Handelskommissarin Malmström nahm diesen neuen Ansatz positiv auf. Sie gab jedoch zu bedenken, dass es im Falle von CETA eigentlich zu spät sei, um solche grundlegenden Änderungen in den Vertragstext einzuführen. Die Verhandlungen zu CETA seien offiziell beendet. Man befinde sich nunmehr in der Phase des "legal scrubbing", in denen der Text in der jeweiligen nationalen Übersetzung auf seine Richtigkeit hin überprüft werde.

Dieses Argument ließ Gabriel, zusammen mit vielen Vertretern der Politik und Wirtschaft jedoch nicht gelten. Auch DER MITTELSTANDSVEBRUND ist der Auffassung, dass durchaus darüber nachgedacht werden sollte, das "Verhandlungspaket" - zumindest in Bezug auf die Schiedsgerichte - noch einmal zu öffnen. Immerhin stehen berechtigte öffentliche Interessen auf dem Spiel, die gegebenenfalls durch den neuen Vorschlag der Sozialdemokraten begegnet werden könnte. Nirgendwo steht festgeschrieben, dass die Verhandlungen nicht wieder neu eröffnet werden können. Dies ist eine Frage der politischen Bereitschaft. In Bezug auf CETA hat sich Kanada bislang nicht zu den Vorschlägen der Sozialdemokraten geäußert.

Insgesamt betonte Gabriel noch einmal, dass es sowohl bei CETA als auch bei TTIP um nicht weniger als die Frage gehe, inwieweit zukünftig die westlichen Staaten maßgeblich an der Setzung von Umwelt- und Sozialstandards beteiligt sein werden. Da auch die asiatischen Staaten wirtschaftlich immer näher rückten, könnten die EU und Nordamerika mit ihrer Wertegemeinschaft an Bedeutung verlieren.

Ob und wie die neuen Vorschläge zur Schiedsgerichtsbarkeit nunmehr Eingang in die CETA und TTIP-Verhandlungen finden werden, bleibt noch offen. CETA sollte eigentlich bis Ende 2015 von allen EU-Mitgliedstaaten und Kanada ratifiziert werden. Die Verhandlungen zu TTIP könnten noch bis 2016 weiter laufen.

DER MITTELSTANDSVERBUND wird sich weiterhin für einen ausgewogenen transatlantischen Freihandel einsetzen, der sowohl die Interessen der Wirtschaft, als auch der Mitgliedstaaten ausreichend Rechnung trägt. 

Weitere Informationen:

EU-Kommission setzt bei TTIP auf Transparenz
Verhandlungstext der EU-Kommission zur regulatorischen Zusammenarbeit unter TTIP
TTIP: Bedrohung oder Chance für den Mittelstand?

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