Veltmann: Der Brexit kann auch heilsam sein

Der Austritt Großbritanniens aus der EU wurde mit Kommentaren zwischen Euphorie und Apokalypse kommentiert. MITTELSTANDSVERBUND-Hauptgeschäftsführer Dr. Ludwig Veltmann sieht auch Chancen für die europäische Idee.

Berlin, 24.06.2016 - Am 23. Juni hat sich Großbritannien mehrheitlich für einen Austritt aus der Europäischen Union entschieden. Der Hauptgeschäftsführer Dr. Ludwig Veltmann sieht aber auch positive Aspekte des Brexits.

Ein Zwischenruf:

"Der Tag der Entscheidung hat wach gerüttelt. Eine Mehrheit der Briten will nicht länger Teil der Europäischen Union sein. Die wahlweise mit Schockstarre oder verbalem Katastrophenszenario zu vernehmenden Reaktionen von Politik und Medien sind freilich überzogen. Natürlich hat sich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten Großbritannien garantiert keinen Gefallen getan, das werden gerade all jene in den kommenden Jahren spüren, die aufgrund ihrer gefühlten Ausgrenzung aus der wirtschaftlich privilegierten Gesellschaft die Verantwortung in Brüssel gesucht haben und deshalb für den Brexit stimmten. Noch mögen sie sich an die Schwärmerei von einem vermeintlich stärkeren weil völlig selbstbestimmten Land der politischen Leitfiguren dieser Idee klammern. Mit Gewissheit werden sie am Ende aber gerade die Verlierer der Entscheidung sein.

Bleibt zu hoffen, dass all jene Staaten der EU und nationalistischen Gruppierungen die ernüchternden Perspektiven mit Argusaugen verfolgen, die derzeit auch noch ihr zukünftiges Heil in nationalen Alleingängen suchen.

Für die EU ergibt sich daraus aber alles andere als zur Tagesordnung überzugehen. Bei jeder Befassung mit der EU und all ihren maßgeblichen Veränderungen muss die Erinnerung an ihre Gründungsväter stehen, deren Projekt, nämlich die nachhaltige Abwendung nationalistisch induzierter Kriegsgefahren, seit über einem Dreivierteljahrhundert aufgegangen ist. Allein dies dürfte niemanden in Zweifel lassen, dass es aller Mühen wert ist, die Idee eines geeinten Europas vehement weiter zu verfolgen. Erst der zweite Blick sollte sich auf die Wirtschaft richten, die, wenn deren Protagonisten klug, weitsichtig und erfolgreich handeln, und hierbei insbesondere nicht nur auf volkswirtschaftliche Wachstumsergebnisse schauen, sondern die Ausgrenzung weiter Bevölkerungskreise verhindern, der beste Kitt für den europäischen Zusammenhalt ist.

Doch auch bei scharfem Geschichtsbewusstsein und einer gedeihlichen Wirtschaft mit großer Partizipation der Gesamtbevölkerung bedarf es eines entscheidenden weiteren Faktors, um das Gemeinschaftsprojekt für die Zukunft zu festigen. Wenngleich die negativen Auswirkungen des Brexits vielen Europagegnern in den verbleibenden EU-Ländern vorerst den Mut nehmen dürften, das jeweils eigene Volk in eine ähnliche Krise zu stürzen, was gewiss einen "Dominoeffekt" verhindert, wird sich Europa grundsätzlich nicht mit Furcht vor unerwünschten Folgen, sondern mehrheitlich nur mit einer persönlich positiven Haltung zu einem geeinten Europa und zu der Europa-Idee stabilisieren.

Um dies zu erreichen, muss Europa für die breite Bevölkerung das MITTELSTANDSVERBUND-Hauptgeschäftsführer Dr. Ludwig VeltmannBedrohungsimage ablegen. Intransparenz der Entscheidungen, Bürokratie, Bevormundung der Bürger in vielen Lebensbereichen - all das passt nicht mehr in die Erwartungshaltung gerade der jüngeren Europäer. Die EU muss ihre Bürger nicht nur über den Kopf, sondern auch über den "Bauch" mitnehmen. Gerade darin ist sie bisher gescheitert. Denn wie kann jemand "mit heißem Herzen" Europäer sein, der erlebt, dass er sich nicht auf die Umsetzung von Beschlüssen verlassen kann, dass er stets den Unmut vernimmt, den Politik und Medien über die EU ausbreiten, der viele nationale und kirchliche, aber keinen einzigen europäischen Feiertag erlebt, der frustrierte Schüler trifft, die trotz vielfältiger Versuche nie das Los gezogen haben, in ihrer gymnasialen Laufbahn auch nur einmal einen der leider allzu spärlichen Austauschplätze des "Programms" mit der Schule im europäischen Nachbarland ergattert haben.

Gewiss gibt es gerade auch aus Sicht eines Interessenvertreters des Mittelstandes viel Kritik zu üben an den oft nicht nachvollziehbaren Entscheidungen oder Unterlassungen der europäischen politischen Institutionen. Unter dem Strich ist die in Brüssel geleistete Arbeit jedoch für eine stabile und lebenswerte Zukunft für Europa elementar. Nun mussten wir schmerzhaft lernen, dass es offenbar bislang zu wenig Anstrengungen gab, um den Menschen Europa näher zu bringen. Mein Wunsch an die EU wäre deshalb, die Zahl der Generaldirektionen deutlich zu verringern und eine zentrale Stelle für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit auszugliedern. Deren erstes Projekt könnte zum Beispiel sein, EU-weit für jeden Schüler einmal jährlich einen Europatag anzubieten mit zielgruppengerechtem Infotainment und vor allem einer Begegnung mit Gleichaltrigen aus anderen europäischen Ländern. Wer anders als unsere Kinder sind in der Lage, über die nächsten 75 Jahre den Frieden in Europa zu sichern?"

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