Zukunft Europas: So will Juncker die EU reformieren

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will die Zukunft Europas neu gestalten. Seine Pläne könnten schon Ende März zur Realität werden.

Brüssel, 03.03.2017 – Für die Europäische Union läuft es momentan nicht ganz so gut. Die Austrittverhandlungen Großbritanniens stehen kurz bevor. Der neu gewählte US-Präsident Donald Trump hält die europäische Politik täglich mit neuen Meldungen in Schach. Und die Strömungen populistischer Parteien scheinen sich bei den bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und auch Deutschland fest zu verwurzeln.

60-jähriges Bestehen der Römischen Verträge

Kein Wunder, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker darin Gefahren für die freie, europäische Gesellschaft sieht. In seiner Rede vor dem Europaparlament am 1. März in Brüssel skizzierte er nun in einem Weißbuch, wie die Europäische Union sich nach seinen Vorstellungen in Zukunft aufstellen muss, um die derzeitige Krise zu bewältigen.

Mit seiner Rede will Juncker Vertretern der Mitgliedstaaten auf dem anstehenden Ratsgipfel Ende März zum 60-jährigen Bestehen der Römischen Verträge ein klares Bekenntnis für ein geeintes Europa abringen. Es sei an der Zeit, auch in Zeiten der Europaskepsis nach vorne zu schauen und neue Ansätze für ein besseres Funktionieren der EU zu finden, so Juncker.

81 Prozent der EU-Bürger befürworten europäische Freiheit

Die vielseitigen Herausforderungen der EU, angefangen über die Flüchtlingskrise, dem anstehenden Brexit, ein destabilisiertes Umfeld von Nachbarn sowie das Aufstreben neuer Internationaler Akteure würden das politische und wirtschaftliche Gewicht der EU schmälern. Jedoch sei es nicht das erste Mal in der Geschichte der EU, dass sich diese beweisen und anpassen müsse. Wichtig sei nur, niemals den Blick in die Zukunft – einer geeinten Zukunft – zu verlieren. Die Zahlen würden ihm dabei Recht geben:

  • So würden immer noch 66 Prozent der befragten EU-Bürger diese für einen stabilen Standort halten.
  • 81 Prozent der Befragten würden die vier EU-Grundfreiheiten (freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, freier Kapital- und Zahlungsverkehr) vollumfänglich unterstützen.
  • 70 Prozent halten den Euro für erfolgreich und wichtig.

Juncker nahm dies zum Anlass, ein Zukunftsbild für die EU zu zeichnen. Es sei an der Zeit darzustellen, was Europa kann und was nicht. Verkappt verbirgt sich dahinter auch eine nicht unerhebliche Kritik an die Adresse der Mitgliedstaaten, die oftmals unterschlagen, dass sie maßgeblich zur Stagnation und vermeintlich schlechten Lösungen auf EU-Ebene beigetragen haben.

Fünf Szenarien für Europa

Die Schaffung klarer Verhältnisse ist daher das eigentliche Ziel des vorgelegten Weißbuchs. Dabei verbiete sich nach Juncker eine Verengung der Möglichkeiten auf ein „Entweder-Oder-Konzept“. Die Wahrheit für Europa wird daher irgendwo zwischen den einzelnen aufgezeigten Szenarien liegen.

Das Weißbuch zeigt fünf Szenarien auf, in welche Richtung sich Europa bis 2025 entwickeln könnte.

Szenario 1: Weiter so! Alles bleibt bei Alten.

Ein erstes mögliches Szenario ist die Beibehaltung des momentanen Kurses. Es würden damit weiterhin viele kleinteilige Regelungen zur Vertiefung des Binnenmarktes, der Wirtschafts- und Währungsunion sowie der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik getroffen werden. Die Kommission würde hierbei weiter an der Zielsetzung der Schaffung von mehr Beschäftigung, Wachstum und Investitionen festhalten.

Nach der Auffassung Junckers wäre das ein gangbarer Weg, vorausgesetzt, alle Mitgliedstaaten würden diese Zielsetzung gleichermaßen ambitioniert verfolgen. Da sich gerade im Rat der EU sowie in durch die öffentlichen Äußerungen einiger nationaler Regierungen ein anderes Bild abzeichnet, dürfte dieses Szenario hingegen eher unwahrscheinlich sein.

Szenario 2: Reiner Binnenmarkt

In einem weiteren Szenario könnte sich die EU lediglich auf eine Vertiefung des EU-Binnenmarktes konzentrieren. Themen wie Migration oder Sicherheits- und Verteidigungspolitik wären Gegenstand bilateraler oder multilateraler Verträge zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten.

Ein klarer Fokus würde auf den Abbau bürokratischer Lasten gelegt. Dies ginge jedoch zu Lasten einer weiteren Vereinheitlichung von Warenstandards und Verbraucherrechten. Ein wirklich einheitlicher Binnenmarkt ließe sich daher nicht erreichen – ein Grund, warum Juncker dieses Szenario in seiner Rede ablehnte. Mehr noch: Für Juncker bleibt Europa mehr als eine Freihandelszone. Das politische Gewicht Europas müsse erhalten bleiben.

Szenario 3: Kreis der Willigen

Bereits vor der Präsentation des Weißbuchs sprach Juncker öfter von der Idee der konzentrischen Kreise in Europa. Demnach sollen die EU-Verträge dermaßen angepasst werden, dass Mitgliedstaaten, die eine tiefere Integration (rechtlich, politisch oder anders) wünschen, auch die Möglichkeit dazu haben sollten. Klar müsse nur sein: Ein einheitlicher Binnenmarkt könne damit zunächst nicht erreicht werden. Dies würde die Vermittlung des europäischen Mehrwertes erschweren.

„Wie erklärte man beispielsweise den Menschen, dass Europa für die Harmonisierung von Frequenzen zuständig ist, auf denen autonom fahrende Fahrzeuge bei einem Unfall den Rettungsdienst anrufen können – allerdings nur in den Ländern X, Y und Z, und daher bekämen sie keine Hilfe, wenn sie im Land A unterwegs sind?“, so Juncker an die EU-Parlamentarier.

Dennoch scheint dieses Szenario sein Favorit zu sein, gibt es doch die Möglichkeit, in einem kleinen Kreis zu befriedigenden Ergebnisse zu kommen: Die Integrationswilligen hätten die „Erlaubnis zur Weiterfahrt“ und auch wenn viele Mitgliedstaaten zunächst außen vorblieben, ziele dieses Konzept längerfristig auf Inklusion ab.

Wichtig ist zudem das Verständnis Junckers, dass es hierbei nicht nur einen Kreis geben kann. Vielmehr könnten sich unterschiedlich große und besetzte Kreise bilden, die sich dann teilweise wiederum überschneiden könnten.

Szenario 4: Weniger effektiver gestalten

Nach dem Prinzip „Weniger-ist-Mehr“ könnte sich die EU die Vertiefung in einigen wenigen Bereichen konzentrieren. Diese Bereiche sollten dann jedoch auch konstruktiv mithilfe der Mitgliedstaaten begleitet werden. Zudem wäre eine konsequente Durchsetzung der somit erreichten Neuerungen unerlässlich, um einen wirklichen Mehrwert zu schaffen. Fraglich bleibt, wie vor dem Hintergrund der vielgestaltigen nationalen Interessen eine solche Priorisierung vollzogen werden kann.

Szenario 5: Mehr ist Mehr

In einem letzten Szenario könnte sich die Zusammenarbeit und Integration der Mitgliedstaaten auf neue Bereiche erstrecken. Juncker sieht hier vor allem Potential im Bereich einer wirklichen gemeinsamen Verteidigungspolitik. Schwierig wäre hierbei wiederum die Akzeptanz gerade durch europaskeptische Mitgliedstaaten und deren Bevölkerung.

Wie geht es nun weiter?

Mit dem vorgestellten Weißbuch bereitet Juncker die Grundlage für weitere politische Diskussionen. Die an einiger Stelle bereits geäußerte Kritik, dass keine klaren Entscheidungen getroffen wurden, gehen an der Realität vorbei. Es ist gerade Ausdruck eines modernen Verständnisses der EU, dass eben nicht die Kommission vorgibt, wo es langgeht, sondern die Zukunft Europas in die Hände aller gelegt wird. Juncker hat sich indirekt für die von ihm bevorzugte Lösung ausgesprochen, nunmehr liegt es an den Mitgliedstaaten eine politische Einigung zu finden.

Diese dürfte sich im besten Fall an dem Modell der konzentrischen Kreise orientieren, jedoch auch die Elemente der Priorisierung von EU-Vorhaben sowie dem konsequenten Bürokratieabbau orientieren.

Deutschland und Frankreich haben bereits angekündigt, für das Treffen der EU-27 in Rom am 25. März anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Römischen Verträge Vorschläge für ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" vorzulegen. Für beide Länder ist Europa mehr als eine Freihandelszone.

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