Erbschaftsteuer: Das passiert bei unklarer Rechtslage

Bis zum 30. Juni muss die Bundesregierung die Erbschaftssteuer reformieren. Doch eine Einigung ist nicht in Sicht. Was passiert nach Fristablauf? DER MITTELSTANDSVERBUND zeigt denkbare Szenarien auf.

Berlin, 14.04.2016 — Die Regierungskoalition bringt ihre letzten Vorhaben auf den Weg. In wenigen Monaten beginnt die Sommerpause. Und dann ist Wahlkampf. Doch die Reform der Erbschaftssteuer scheint ins Stocken zu geraten. Ein Kompromiss zeichnet sich noch nicht ab – obwohl die Frist des Bundesverfassungsgerichts am 30. Juni verstreicht. Aber was passiert, wenn die Bundesregierung sich nicht einigen kann? DER MITTELSTANDSVERBUND informiert über denkbare Szenarien.

Zum Hintergrund

Das Bundesverfassungsgericht hat im Dezember 2014 entschieden, dass die Erbschaftssteuer in ihrer jetzigen Form verfassungswidrig ist. Dabei beanstandeten die Richter die Regelungen zur Verschonung von Betriebsvermögen aus dem Jahr 2009. Ein Erbe machte geltend, er sei im Vergleich zu Unternehmenserben zu stark belastet worden.

Für eine neue, verfassungskonforme Regelung gab das Gericht dem Gesetzgeber bis Ende Juni 2016 Zeit. Bis zur Verabschiedung einer Neuregelung ist laut dem Richterspruch das bisherige Recht aber weiter anwendbar.

Seehofer fordert weitere Erleichterungen für Unternehmen

Obwohl es bereits eine Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen gab, wurde bisher kein neues Gesetz verabschiedet. Denn der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer fordert weitere Erleichterungen für Unternehmen, als es bisher im Entwurf geregelt ist. Doch schon jetzt bestehen Zweifel, ob der Kompromiss in seiner jetztigen Fassung verfassungskonform ist. Ob eine neue Regelung nun bis Ende Juni kommt, bleibt fraglich.

Was passiert nach dem 30. Juni?

Doch was passiert, wenn die Frist verstreicht? Bisher interpretierte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble das Urteil so, dass nur die Verschonungsregelungen nichtig wären. Einen Wegfall des gesamten Erbschaftssteuerrechts hingegen könne er aus dem Urteil nicht herauslesen. Träfe diese Auffassung zu, würden sich für Unternehmenserben höhere Steuerlasten ergeben.

Nun hat sich allerdings der Sprecher des Bundesverfassungsgerichts, Michael Allmendinger, zu Wort gemeldet. Er weist darauf hin, dass das bisherige Recht auch ohne eine Neuregelung weiter Bestand haben wird. Das Urteil erkläre ausdrücklich, dass es bis zu einer Neuregelung anwendbar ist. Die Fristsetzung betreffe lediglich den Regelungsauftrag an den Gesetzgeber und sage nichts über einen etwaigen Wegfall der bisherigen Regeln aus. Sämtliche Vorschriften dürften demnach auch nach dem 30. Juni weiter Anwendung finden.

Wann und wie kann die Erbschaftssteuer angepasst werden, wenn die Frist tatsächlich verstreicht? DER MITTELSTANDSVERBUND stellt drei verschiedene Szenarien vor:

Szenario 1: "Wo kein Kläger, da kein Richter!" – Nichts passiert

Kein betroffener Steuerzahler klagt und der Fiskus wendet die Verschonungsregeln mangels anderweitiger Regelungen weiter an. Klagen könnte nur ein betroffener Steuerzahler, der die (verfassungswidrigen) Verschonungstatbestände für sich in Anspruch nehmen will. Dass niemand klagt, erscheint zunächst unwahrscheinlich. Schließlich wurde die bestehende Regelung bereits angefochten. Ganz sicher zu erwarten ist eine Klage aber auch nicht denn…

Szenario 2: "Zurück nach Karlsruhe" – Ein Steuerzahler klagt

…es wäre nicht sicher, dass der Kläger die gewünschte Verschonung vor Gericht durchsetzen kann. Stattdessen könnte das Finanzgericht den Fall dem Bundesverfassungsgericht erneut zur Prüfung vorlegen. Das oberste Gericht könnte dann recht schnell entscheiden und die Verschonungsregeln für nichtig erklären – mit dem Unterschied zum Urteil aus 2014, dass das Gericht dem Gesetzgeber keine oder nur eine sehr kurze Frist für eine Neuregelung zugestehen könnte. Das Verfassungsgericht würde es dem Gesetzgeber also schwerer machen. Betriebsvermögen würde dann erbschaftssteuerrechtlich nicht anders behandelt, als andere Vermögenswerte.

Szenario 3: "Man trifft sich vor Gericht" – Die Normenkontrollklage

Anstatt eines Klägers könnte auch der Staat selbst gegen die aktuellen Vorschriften aufbegehren. Der Weg zum Bundesverfassungsgericht mittels einer sogenannten Normenklage steht z.B. den Landesregierungen offen (§13 Abs.1 Satz 1 Nr. 6 BVerfGG).

"Die Erbschaftssteuer steht allein den Ländern zu, wohingegen der Bundeshaushalt nicht betroffen ist. Da die Verschonungstatbestände das Steueraufkommen reduzieren, sind hier die Länder die Leidtragenden. Es wäre also keine Überraschung, wenn eine Landesregierung sich angesichts knapper Kassen zu einer Klage entscheiden würde", so der MITTELSTANDSVERBUND-Referent für Steuern und Finanzen, Paul Maeser.

Er weist außerdem darauf hin, dass das Gefälle zwischen den Ländern bei der Erbschaftssteuer recht hoch ist. Während Hamburg und Bayern in 2014 mit 165 bzw. 108 Euro pro Kopf an der Spitze lagen, kassierten die ostdeutschen Flächenländer nur einstellige Pro-Kopf-Beträge.

Allerdings spielen auch hier politische Aspekte eine wichtige Rolle: In fast allen Parteien herrscht die Einsicht, dass Betriebsvermögen zu schonen seien. Betriebsübergänge sollen möglichst erleichtert werden um keine Arbeitsplätze zu gefährden. Mit einer Klage könnten Verschonungsregeln aber nicht gestaltet, sondern nur ausgehebelt werden.

Ob eine Partei kurz vor dem Wahlkampf eine solche steuerpolitische Kehrtwende vollziehen möchte, bleibt offen. Damit liegt eine Normenkontrollklage zwar im Bereich des rechtlich Möglichen, politisch erscheint dieser Weg gegenwärtig allerdings unrealistisch. Somit bleibt für eine beständige Regelung mit Verschonungstatbeständen weiterhin nur eine politische Lösung.

Am Ende doch eine gesetzgeberische Lösung?

Damit es zu keinem der Szenarien kommt, bliebe nur noch eine politische Einigung. Denn auch nach dem 30. Juni können Bundestag und Bundesrat zügig eine Änderung des Erbschaftssteuergesetzes beschließen.

"Das wäre zweifellos die sauberste Lösung", betont Maeser. Sein vorläufiges Fazit: "Man kann bei den vorliegenden Konzepten zu unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Schlüssen kommen. Ein wirklich substantielles Entgegenkommen der Politik auf die Unternehmenserben ist angesichts der schwierigen rechtlichen Fragestellungen ohnehin nicht zu erwarten."

Selbst wenn es jetzt schon wieder Bedenken bei der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz gibt: Eine neue gesetzliche Regelung böte zumindest ein höheres Maß an Rechtssicherheit als eine Verlängerung der momentanen Hängepartie. Trotz aller öffentlich geäußerten Differenzen bleibt eine politische Einigung möglich – offen ist, ob man in dieser Frage noch vor dem Bundestagswahlkampf zueinanderfindet.

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