Erbschaftsteuer: Karlsruhe, übernehmen Sie!

Die Große Koalition hat am 20. Juni in Berlin einen Kompromiss zur Erbschaftsteuer präsentiert. Für den MITTELSTANDSVERBUND schafft die Einigung keine langfristige Rechtssicherheit.

Berlin, 22.06.2016 - Am 20. Juni haben sich die Spitzen der Koalition nach langem Ringen auf eine Reform der Erbschaftsteuer geeinigt. Vorausgegangen war eine lange Hängepartie. Nun soll die Einigung zügig in das bereits laufende Gesetzgebungsverfahren eingeführt und noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.

Die neuen Regeln zur Verschonung von Betriebsvermögen sollen dann rückwirkend ab dem 01.07.2016 Anwendung finden. Offen bleibt, ob das Gesetz am Ende die erforderlichen Mehrheiten finden wird. Während eine Zustimmung im Bundestag als gesichert gilt, ist die Koalition im Bundesrat auf die Opposition angewiesen. Die Bundestagsfraktion der Grünen hat ihre Ablehnung bereits angekündigt .

Zwar wurde in den letzten Wochen wiederholt ein "großer Wurf" ins Gespräch gebracht, beispielsweise die gleichmäßige, niedrige Besteuerung aller Vermögensarten nebst großzügiger Stundungs- und Erlassregeln. Dennoch hat die Koalition sich dafür entschieden, in der Struktur das bisherige System der Erbschaftsteuer beizubehalten. So ist im Erbfall weiterhin zwischen Betriebs- und Verwaltungsvermögen zu unterscheiden. Nur das Betriebsvermögen kann von der Erbschaftsteuer verschont werden, sofern bestimmte Bedingungen - insbesondere der Erhalt von Arbeitsplätzen - eingehalten werden.

Die wesentlichen Änderungen des Koalitionskompromisses im Vergleich zur bisherigen Rechtslage sehen folgendermaßen aus:

  • Kleinbetriebe: Betriebe mit bis zu fünf Mitarbeitern werden künftig vom Nachweis des Arbeitsplatzerhalts befreit. Zuvor lag die Schwelle bei 20 Mitarbeitern. Die Absenkung war notwendig geworden, weil aus Sicht der Verfassungsrichter zu viele Unternehmen von dieser Bestimmung ausgenommen wurden.
  • Betriebe mit mehr als fünf Mitarbeitern: Hier bleibt es bei der bisherigen Lohnsummenregelung.
  • Abgrenzungen bei großen und kleinen Erbschaften: Unter die Verschonungsregelung fallen alle Erbschaften mit einem Unternehmenswert von unter 26 Mio. Euro. Das bedeutet, dass in diesem Fall 85 Prozent des Betriebsvermögens befreit werden. Wenn der Firmenwert über dieser Freigrenze liegt, finden eine Bedürfnisprüfung und eine schrittweise Reduzierung der Verschonung statt. Dadurch soll sichergestellt werden, das Erben nicht durch zu große Zahlungen überlastet werden. Zur Ermittlung der Steuerlast wird in diesen Fällen auch das bestehende und vererbte Privatvermögen des Erben herangezogen. Ab 90 Mio. Euro findet die Verschonungsprüfung keine Anwendung mehr.
  • Abschmelzmodell: Mit steigendem Unternehmenswert muss ein wachsender Teil am Betriebsvermögen versteuert werden. Ab einem Betrag von 90 Mio. Euro wird keine Verschonung mehr gewährt.
  • Investitionsförderung: Geerbtes Vermögen, welches laut Testament für Investitionen vorgesehen ist und innerhalb von zwei Jahren nach dem Erbfall tatsächlich dafür verwendet wird, wird begünstigt.
  • Verwaltungsvermögen: Die begriffliche Aufteilung in Betriebs- und Verwaltungsvermögen bleibt bestehen. Neu ist, dass Verwaltungsvermögen - z.B. Beteiligungen - nur noch in Höhe von bis zu zehn Prozent des gesamten Unternehmensvermögens verschont wird. Geld und andere Finanzmittel können bis zu 15 Prozent zum steuerrechtlich begünstigten Vermögen gezählt werden.
  • Anpassung der Vermögensbewertung: Zur Ermittlung des Unternehmenswertes wird der durchschnittliche Unternehmensgewinn der vergangenen drei Jahre mit einem Faktor zwischen 10 und 12,5 multipliziert. Zuvor fand ein Faktor von 17,86 Anwendung. Dadurch soll dem veränderten Zinsniveau Rechnung getragen werden.
  • Sonderregelung für Familienunternehmen: Für Familienunternehmen mit Kapitalbindung bzw. Verfügungsbeschränkung kann der Unternehmenswert um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Bei solchen Konstruktionen kann der Erbe über die Gewinne nicht uneingeschränkt verfügen; auch Verkäufe sind eingeschränkt.
  • Stundung: Die Erbschaftsteuer kann ohne Voraussetzungen bis zu zehn Jahre zinslos gestundet werden, so lange die Behaltensfrist und die sog. Lohnsummenregelung eingehalten werden.

Mit der Einigung schlägt die Koalition einen Weg zur Beseitigung der Baustelle "Erbschaftsteuer" ein. DER MITTELSTANDSVERBAND sieht darin eine einstweilige Verbesserung der Rechtssicherheit für die Unternehmen. Inhaltlich weise der Kompromiss aber einige Schwächen auf. "Am Schwersten wiegt die Herabsetzung der Schwelle für kleine Unternehmen, um von der Nachweispflicht des Arbeitsplatzerhalts befreit zu werden", erklärt Paul Maeser, Referent für Steuern und Finanzen beim Verband. Der unangenehme Effekt: Das Einstellen von zusätzlichem Personal könne die Umsetzung von bereits bestehenden Nachfolgeplanungen erschweren. Denn es bestehe die Gefahr, dass kleine Unternehmen einen möglichen Beschäftigungsaufbau stoppen, bevor im Erbfall Bestimmungen wie die Lohnsummenregelung greifen. Damit setzt diese sehr niedrige Schwelle wachstumsfeindlicheAnreize.

Bedauerlich ist aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES auch, dass die neue Einigung wieder Streitpotential in sich birgt. Bereits jetzt gebe es kritische Fragen, ob die neue Regelung vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen wird. Hinzu komme, dass auch die Politik den eigenen Kompromiss in Frage stellt. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer wies bereits am Tag der Einigung darauf hin, dass er die Erbschaftsteuer zum Wahlkampfthema machen möchte. Er strebt eine "Regionalisierung" der Erbschaftsteuer an. Eine beständige Lösung sieht anders aus.

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