Entwicklungsstaatssekretär Fuchtel: Verantwortung übernehmen

Knapp 60 Mio. Menschen sind weltweit auf der Flucht. Für Hans-Joachim Fuchtel müssen Politik und Wirtschaft gleichermaßen Verantwortung übernehmen. Wie Flüchtlinge unterstützt werden können, erklärt der Parlamentarische Staatssektretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in einem Gastbeitrag für die SynergienNews.

Mittelstand und Entwicklungszusammenarbeit adressieren die Flüchtlingskrise

Berlin, 21.01.2016 — Knapp 60 Mio. Menschen sind weltweit auf der Flucht. Der Großteil dieser Menschen findet Aufnahme in Entwicklungsländern; ein kleiner Teil kommt auch nach Europa und Deutschland. Wie können wir diese Menschen unterstützen? Diese Frage stellen sich aktuell die Politik, die Bürger, aber auch die Unternehmen.

Hans-Joachim Fuchtel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium86 Prozent der Flüchtlinge weltweit finden Aufnahme in Entwicklungsländern. Nur ein Bruchteil flieht nach Europa und Deutschland. Die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in die Heimat ist einer der Gründe, warum viele Menschen zunächst innerhalb ihres Heimatlandes oder in angrenzende Staaten fliehen.

Für die Aufnahmeländer bedeutet dies meist, dass häufig schwache Strukturen und knappe Ressourcen noch stärker unter Druck geraten, beispielsweise in der Gesundheitsversorgung, dem Bildungssystem, dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Vor diesem Hintergrund können in den aufnehmenden Gesellschaften Ängste und Konflikte mit den zugezogenen Flüchtlingen entstehen.

Was in der öffentlichen Diskussion dabei aber oft vergessen wird - auch Flüchtlinge und Binnenvertriebene bringen Potenziale in ihre Aufnahmegemeinden und -länder! Viele von ihnen hatten selbst Unternehmen in ihrer Heimat, waren im Handel tätig oder sind Wissen-schaftler und Forscher. Diese Erfahrungen, das Wissen und die Netzwerke, die diese Menschen mitbringen, gehen häufig verloren, wenn sie nicht die Möglichkeit haben, sich produktiv durch Arbeit, Aus- oder Weiterbildung an der Gesellschaft und am wirtschaftlichen Leben zu beteiligen.

Die Erfahrung aus den Partnerländern des BMZ zeigt, dass die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen auch positive Effekte haben kann. Uganda, das Flüchtlinge aus verschiedenen anderen afrikanischen Ländern aufgenommen hat, gilt als vorbildlich in dieser Hinsicht, weil Flüchtlinge nicht nur ihren Wohnsitz frei wählen können und nicht verpflichtet sind, in Flüchtlingslagern zu leben, sondern auch arbeiten und Unternehmen gründen dürfen. Dabei hat sich gezeigt, dass die ugandische Bevölkerung direkt wirtschaftlich davon profitieren kann: Untersuchungen beweisen, dass in ländlichen Räumen dank der Flüchtlinge sogar Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung geschaffen wurden.

Um die Hauptaufnahmeländer und Flüchtlinge im Nahen Osten, Afrika, Asien und Lateinamerika bei der Bewältigung dieser Herausforderung zu unterstützen, hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 2014 bereits eine Sonderinitiative "Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren" ins Leben gerufen. Auch die weitere Sonderinitiative "Entwicklung und Stabilisierung Nordafrika und Nahost" leistet einen Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingskrisen vor Ort, genau wie der Großteil der Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit. Aktuell wird ein „Qualifizierungspakt“ für syrische Flüchtlinge in der Türkei und Ägypten vorbereitet, der 2016 startet: Bis zu 50.000 syrische und auch einheimische junge Menschen sollen in Berufsschulen und Unternehmen beruflich qualifiziert werden. Das BMZ setzt dabei auf die Expertise und enge Kooperation mit deutschen Kammern, Verbänden und Unternehmen.

Hier ist auch DER MITTELSTANDSVERBUND vorbildlich. Das Präsidium des MITTELSTANDSVERBUNDES appellierte im September mittels einer Resolution an alle angeschlossenen 230.000 lokalen Handels-, Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen, die in rund 300 Verbundgruppen überbetrieblich zusammenarbeiten, sich gerade auch im Schulterschluss mit ihren Genossenschaften oder anderen Verbundformen für die Integration von Flüchtlingen zu engagieren. Entsprechend der vorangegangenen konkreten Anfrage des BMZ sollen somit 5000 Praktikumsplätze für junge Flüchtlinge kurzfristig bereitgestellt werden. Möglicherweise ergeben sich daraus sogar folgende Ausbildungsplätze.

Darüber hinaus wird sich der alljährliche Kreativpreis des Verbandes, der thematisch unterschiedlich herausragende Leistungen kreativer Köpfe aus dem Mittelstand auslobt, für das kommende Jahr der Integration von Flüchtlingen widmen. Die von einer Fachjury ausgewählten besten Ideen hierzu sollen im Rahmen eines feierlichen Gala-Abends anlässlich des "Mittelstandsgipfels PEAK" - der jährlichen Spitzenveranstaltung des MITTELSTANDSVERBUNDES - am 10. Mai in der Classic-Remise Berlin mit dem Kreativpreis ausgezeichnet werden.

In einer gemeinsamen Initiative mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks engagiert sich das BMZ darüber hinaus für die Ausbildung junger Flüchtlinge in handwerklichen Gewerken. Bislang wurden in 15 Pilotprojekten mit Handwerkskammern aus dem gesamten Bundesgebiet mehr als 240 Jugendliche auf eine duale Berufsausbildung vorbereitet - sprachlich wie fachlich. Im Fokus stehen dabei Berufe, die für den erfolgreichen Wiederaufbau der Herkunftsländer besonders gefragt sein werden, wie Tischler, Elektroinstallateure oder Klempner. Denn viele Flüchtlinge wollen in Ihre Länder zurückkehren, sofern die Situation es erlaubt.

Hier zeigt sich: Nicht nur die Politik, sondern auch die deutsche Wirtschaft ist gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Kürzlich lancierte der "Global Compact" der Vereinten Nationen - das mit über 8.400 Unternehmen weltweit größte Netzwerk für unternehmerische Verantwortung - gemeinsam mit dem VN-Flüchtlingshilfswerk einen entsprechenden globalen Aufruf an Unternehmen. Einige große deutsche Unternehmen gehen bereits mit gutem Beispiel voran und setzen eigene Programme zur Integration von Flüchtlingen ins Unternehmen um wie BMW oder die Deutsche Telekom. SAP hat eine App zur Registrierung von Flüchtlingen entwickelt. Dieses Engagement fördert das BMZ durch die institutionelle Förderung des Global Compact, insbesondere über die Finanzierung der Koordinierungsstelle des Deutschen Global Compact Netzwerkes.

Die Zahl der Menschen, die in Europa und insbesondere in Deutschland Schutz suchen, ist in den letzten Jahren angestiegen und nimmt weiterhin zu. Unternehmen, Gesellschaft, Politik - wir alle sind nun gefragt, Verantwortung zu übernehmen und Perspektiven zu schaffen. Wir stehen in Deutschland vor ähnlichen Fragen und Herausforderungen wie unsere Partnerländer, die ebenfalls hohe Zahlen von Flüchtlingen aufnehmen. Von den Erfahrungen in unseren Partnerländern können und sollten wir in Deutschland lernen: Am Beispiel Uganda zeigt sich, dass das Recht auf Freizügigkeit und Arbeit gesellschaftliches Miteinander fördern und wirtschaftliche Entwicklung für alle stärken kann.

Hans-Joachim Fuchtel ist ein deutscher Politiker (CDU). Seit 1987 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2013 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

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