Prof. Zentes: E-Commerce - Der Tod der Innenstädte?

Der Kunde der Zukunft unterscheidet nicht mehr zwischen stationären und virtuellen Kanälen. Warum Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Zentes meint, dass das Gleiche auch für den Handel gelten muss, erklärt der renommierte Handelsexperte in einem Gastbeitrag für die SynergienNews.

Saarbrücken, 18.08.2014 — Die zunehmende Akzeptanz und Bedeutung des Universitätsprofessor Dr. Joachim ZentesInternet nicht nur als Informations- und Kommunikationsmedium, sondern auch als Shopping-Kanal - bei digitalisierbaren Produkten wie Büchern, Tonträgern oder Software auch als Distributionskanal - stellen eine zunehmende Herausforderung nicht nur für stationäre Händler dar, sondern auch für Kommunen.

So wird bis zum Jahre 2025 im Non-Food-Bereich ein Anstieg auf über 25 % Marktanteil des E-Commerce in Deutschland erwartet. Der HandelsMonitor 2012/2013 (Deutscher Fachverlag, Frankfurt a. M. 2012) schätzt den Non-Food-E-Commerce-Umsatz im Jahre 2022 auf zwischen 57 und 71 Mrd. EUR (siehe Übersicht 1).

Übersicht 1: Bedeutungsanstieg des Non-Food E-Commerce



In einzelnen Warenbereichen, z.B. Consumer Electronics, dürfte dieser Anteil deutlich höher ausfallen. So betrug bspw. in Großbritannien, einem "führenden Internet-Handelsland", der Online-Anteil am Gesamtumsatz dieser Warenkategorie im Jahre 2013 bereits über 40 % (siehe Übersicht 2).

Übersicht 2: Künftige Entwicklung des Online-Marktes in Großbritannien


Im Food-Sektor wird in Deutschland dagegen ein deutlich begrenztes Wachstum gesehen (siehe Übersicht 3). Auch hier zeigt ein Blick nach Großbritannien, dass auch höhere Anteile durchaus möglich sein könnten.

Übersicht 3: Bedeutungsanstieg des Food E-Commerce



Für die (stationären) Händler bringt dies die Herausforderung mit sich, auf diese geradezu dramatischen Veränderungen des Einkaufsverhaltens zu reagieren. Eine wichtige strategische Stoßrichtung muss der Einstieg des heute noch ausschließlich stationär operierenden Handels in den E-Commerce bzw. Internet- oder Online-Handel sein. Gefordert ist jedoch nicht ein paralleler Aufbau eines Online-Shops mit entsprechenden administrativen und logistischen Fulfillment-Prozessen im Sinne eines Multi-Channel-Retailing, sondern die Verknüpfung des stationären und des elektronischen bzw. virtuellen Einkaufskanals im Sinne eines Cross-Channel-Retailing.

So erwartet der Konsument schon heute und spätestens morgen kanalübergreifende Leistungsangebote: Der Verbraucher schaut sich z.B. die Ware in einem Geschäft an, bestellt dann die Ware anschließend von zu Hause aus über sein Smartphone, lässt die Ware nach Hause anliefern und will sie, falls erforderlich, in der nächst gelegenen Filiale zurückgeben oder umtauschen. All die mit diesen kanalübergreifenden Einkaufsvorgängen verbundenen Prozesse und IT-mäßigen Voraussetzungen muss der Handel schaffen: Der Kunde der Zukunft unterscheidet nicht mehr zwischen stationären und elektronischen bzw. virtuellen Kanälen. Gleiches muss dann auch für den Handel gelten.

Eine zweite strategische Stoßrichtung für den Handel liegt darin, die Faszination des stationären Einkaufserlebnisses, wie z.B. Erlebbarkeit der Ware, personale Interaktion, Service, Frische, verstärkt herauszustellen. Dass hierzu entsprechende investive Maßnahmen in den Ladenbau, permanente Schulungen der Mitarbeiter und vieles mehr verbunden sind, bringt die Herausforderung einer "Quadratur des Kreises" mit sich, da die mit der Internet-Entwicklung einhergehende Steigerung der Transparenz einen Druck auf Preise und damit Margen auslöst. Dennoch muss die Antwort des stationären Handels auf Electronic Commerce heißen: Emotional Commerce.

Für die Kommunen stellt sich die mehr als ernsthafte Gefahr einer (weiteren) Standorterosion und einer damit verbundenen Zunahme von Leerständen in Folge von Überkapazitäten in den Innenstädten, aber auch auf der "Grünen Wiese": 25 % Online-Anteil des E-Commerce bedeutet vereinfacht auch 25 % zu viel Verkaufsfläche im stationären Handel!

Zu erwarten ist eine sich noch mehr verstärkende Konzentration auf Oberzentren/Mittelzentren und Stadtzentren, so eine Fokussierung auf 1a-Lagen in Innenstädten. Mit Blick auf die Immobilienpreise bedeutet dies einen weiteren Mietpreisanstieg in Toplagen bei gleichzeitiger Erosion in Nebenlagen.

Zu empfehlen ist kommunalen und regionalen Entscheidungsträgern daher nicht nur ein behutsames Vorgehen bei künftigen Erweiterungen/Neuerschließungen/Neueröffnungen von Handelsflächen, sondern auch die Entwicklung von Konzepten eines geordneten Rückbaus bzw. der Nachverwertung von ehemaligen Handelsflächen. Gleichermaßen sind die Kommunen gefordert, neue Flächen für E-Logistik, sog. E-Fulfillment-Zentren, zu erschließen, wozu allerdings die nicht mehr benötigten stationären Handelsflächen (leider) nicht in Frage kommen.


Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Zentes ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre (insbesondere Außenhandel und Internationales Management) der Universität des Saarlandes; Direktor des Europa-Instituts (Sektion Wirtschaftswissenschaft) und Direktor des H.I.Ma. (Institut für Handel Internationales Marketing) der Universität des Saarlandes.

Der Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder.

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