BDA: Kramer wiedergewählt – Arbeitgeber nachdenklich, aber entschlossen

Mit überwältigender Mehrheit wurde Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer in die zweite Amtsperiode gewählt. Hauptgeschäftsführer Dr. Reinhard Göhner schlug nachdenkliche Töne an.

Berlin, 23.11.2015 — Der Ehrenpräsident des Arbeitgeberverbandes, Dieter Hundt, fand als Wahlleiter der Präsidentenwahl für seinen Amtsnachfolger Ingo Kramer lobende Worte. In Zeiten einer großen Koalition und vielfältiger arbeitgeberwidriger Entscheidungen der Politik sowie der großen Streikbereitschaft der Gewerkschaften habe Kramer äußerst geschickt agiert. Er beherrsche das vertrauliche Gespräch ebenso wie den Bühnenauftritt und die "politische Attacke". Erwartungsgemäß stimmte die Mitgliederversammlung mit überzeugender Mehrheit der Wiederwahl von Kramer zu.

Tarifjahr 2015: Gemischte Bilanz

Hauptgeschäftsführer Dr. Reinhard Göhner analysierte das zurückliegende Tarifjahr. Das Spektrum der Abschlüsse sei unter den Branchen zwischen 1 und 5,2 Prozent enorm gespreizt. Im Durchschnitt sei eine Jahresbelastung von rund 3 Prozent herausgekommen. Das strategisch Neue sei jedoch gewesen, dass das Jahr 2015 ein Jahr der Streiks war. Post, Lufthansa, Bahn, Handel und Elektroindustrie seien davon betroffen gewesen. Allein bei der Post sei an 32 Streiktagen gemessen an den streikenden Personen mehr gestreikt worden als bei allen anderen Streiks der letzten drei Jahre. Das Ergebnis sei allerdings bemerkenswert gewesen, da für 32 Monate abgeschlossen wurde mit einer jährlichen Mehrbelastung von 0,99 Prozent. Gute Tarifabschlüsse könne man jedoch von Arbeitgeberseite nie bejubeln, sie seien immer "gerade vertretbar". Nicht vertretbar sei jedoch ein Arbeitskampf dieses Ausmaßes.

Bemerkenswert sei auch der Streik bei der Deutschen Bahn. 40 Streiktage im Personenverkehr, 50 Streiktage beim Güterverkehr habe zu einem 27 Monate laufenden Tarifvertrag mit 2,25 Prozent geführt. Im Einzelhandel habe es nur vier Tage Streik gegeben, mit dem Ergebnis 2,1 Prozent für 24 Monate. Daraus wolle er nicht die Empfehlung ableiten, "Macht Arbeitskampf und ihr bekommt anständige Tarifverträge". In der Regel treiben Arbeitskämpfe die Kosten für Arbeitgeber in die Höhe. Bei einigen Streiks sei es aber nicht darum gegangen, die Tarife selbst zu verändern, sondern in unternehmerische Entscheidungen einzugreifen. Beispielsweise habe bei der Post das Outsourcing bestimmter Leistungen in eine Servicegesellschaft mit der Übertragung der Arbeitnehmer in den Logistiktarif für Unmut gesorgt. Bei der Bahn sei es um das Ziel der Gewerkschaft gegangen, den Zuständigkeitsbereich auszudehnen. Außerdem habe man unterschiedliche Tarifbedingungen angestrebt, was arbeitgeberseits jedoch verhindert worden sei.

Bei der Lufthansa gehe es den Gewerkschaften im Kern darum, die Gründung und Ausweitung neuer Billigfluglinien zu verhindern. Das Landesarbeitsgericht hatte im Falle der Lufthansa den Streik allerdings untersagt, da ein Streik sich nur auf Angelegenheiten beziehen darf, die in einem Tarifvertrag geregelt sind. Outsourcing sei das nicht und deshalb war der Streik letztlich unzulässig. In Wahrheit gehe es den Gewerkschaften bei fast allen Streiks um nichts anderes als Mitgliederwerbung. ver.di habe mit Stolz berichtet, dass die Gewerkschaft durch die Streiks 25.000 neue Mitglieder dazugewonnen habe. Die Arbeitgeber müssten sich auf diese Strategie der Gewerkschaften einstellen. Auch in der politischen Debatte dürfe es nicht zugelassen werden, dass Streiks in den ureigensten Entscheidungsbereichen von Unternehmern ermöglicht werden. Der Tendenz des Bundesarbeitsgerichtes, das Streikrecht der Gewerkschaften auszuweiten, müsse entschieden entgegengetreten werden.

Als eine Art "Ersatzgesetzgebung" habe das Bundesarbeitsgericht seit 2007 Schritt für Schritt die Streikmöglichkeiten der Gewerkschaften ausgedehnt. Beispielsweise wurden Streiks erlaubt für Sozialpläne, wenn Unternehmensverlagerungen erfolgen sollen. Des Weiteren sei der Unterstützungsstreik erlaubt von anderen Unternehmen aus Tarifbereichen, in denen vorab Friedenspflicht bestanden hätte. Als nächste Stufe sei der Flashmob erlaubt worden, mit dem nicht gewerkschaftlich organisierte Dritte Unternehmen daran hindern, weiterarbeiten zu können. Die vierte Stufe sei die Aufhebung der Tarifeinheit gewesen, die Spartengewerkschaften Handlungsspielräume eröffnet hätte.

Ausweitung von Streikrechten verhindern

Die Verhinderung der Ausweitung von Streikrechten sei allerdings eine Herkulesaufgabe, die entschlossen angegangen werden müsse. An Ende der Bemühungen müsse eine gesetzliche Regelung zum Arbeitskampfrecht stehen. Bislang sei dies gesetzlich in Deutschland nicht geregelt. Die aktuelle Stimmungslage nach der Vielzahl der Streiks biete Chance, jetzt die Debatte erfolgreich zu führen. Göhner schätzt die Zeitspanne zur Umsetzung dieses Vorhabens auf zehn Jahre. Erste Gutachten seien bereits in Auftrag gegeben worden.

Göhner hob als Vorteil des Tarifvertrags die Friedenspflicht hervor, die Tarifbindung gehe jedoch nach wie vor "bergab". Gemäß Statistik wenden 61 Prozent der Arbeitgeber Tarifverträge an. Diese beschäftigen 79 Prozent der Arbeitnehmer. Diese Darstellung sei jedoch "geschönt". Gezählt würden nämlich nicht nur die Arbeitgeber, die an einen Flächentarif gebunden seien, das seien 28 Prozent, und diejenigen, die an einen Firmentarifvertrag gebunden sind, das seien 3 Prozent, sondern es werden auch die 30 Prozent der Betriebe dazugezählt, die sich am Tarifvertrag orientieren, selbst aber nicht tarifgebunden sind. Bei genauerer Betrachtung seien in Deutschland 31 Prozent der Arbeitgeber und 51 Prozent der Arbeitnehmer tarifgebunden. Auch diese Zahlen seien letztlich aber noch "geschönt", da alle öffentlichen Betriebe und Verwaltungen hinzugezählt würden. In der Privatwirtschaft allein sei im Kern lediglich eine Tarifbindung der Betriebe von 26 Prozent zu verzeichnen. In den letzten 15 Jahren sei diese Tarifbindung um je einen Prozentpunkt pro Jahr gesunken. Aktuell seien noch 490.000 Betriebe in der Tarifbindung. Die Digitalisierung der Wirtschaft führe zu eher abnehmender Tarifbindung. Es sei kein Zufall, dass es nur ein DAX-3-Unternehmen gebe, das nicht tarifgebunden sei, nämlich SAP.

Startups denken nicht an Tarifverträge

Blick in die Mitgliederversammlung BDADie starke Gründerszene in Deutschland denke zu allerletzt an Tarife. Im Trend biete sich wenig Perspektive zur den Annahme, dass die Tarifbindung wieder zunehmen könne. Für ihn sei der Umstand, als Unternehmen nicht tarifgebunden zu sein, aber "nichts Unanständiges". Nach der Verfassung gebe es sogar ein "Grundrecht" zur "negativen Koalitionsfreiheit". Die geringe Tarifbindung sei zuvorderst die Folge einer "falschen Gewerkschaftsstrategie". Tarifpolitik habe die ureigenste Aufgabe, Mindestbedingungen festzulegen und nicht Durchschnittsbedingungen für die meisten Betriebe. Mit Durchschnittsbedingungen werden viele Betriebe, für die Bedingungen nicht akzeptabel seien, aus der Tarifbindung hinausgedrängt. Die BDA müsse sich jedoch auch als Vertreter der Interessen nicht tarifgebundener Unternehmen sehen. Nicht tarifgebundene Unternehmen hätten zwar das Interesse, nicht in einen Tarifvertrag gezwungen zu werden, jedoch den Tarif als Orientierung heranzuziehen. In wissenschaftlichen Debatten, in der Gesetzgebung und rechtspolitischen Positionen zeichnet sich das Verständnis von der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen ab. Dabei kann die Minderheit bei Bestehen öffentlichen Interesses einer Mehrheit mit gesetzesgleicher Wirkung durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung Ergebnisse übertragen. Der Gesetzgeber habe allerdings hinsichtlich des öffentlichen Interesses eine sehr schwammige Formulierung gewählt. Die BDA habe neue Grundsätze zur Allgemeinverbindlichkeit beschlossen. Es bleibe beispielsweise dabei, dass die Allgemeinverbindlichkeitserklärung die absolute Ausnahme bleiben müsse. Bisher seien von 75.000 Tarifverträgen in den Bundesrepublik Deutschland ganze 502 allgemeinverbindlich.

Keine Verbindlichkeit bei betrieblicher Altersversorgung

Im Bereich der Betriebsrente dränge der Gesetzgeber jedoch auf weiterreichende Allgemeinverbindlichkeit. Das Bundesarbeitsministerium ziele darauf ab, dass in den Tarifverträgen die Betriebsrenten generell als allgemeinverbindlich gelten. "Geködert" werden die Arbeitgeber damit, dass sie von der letzten Haftung entlastet werden. Alle in der BDA vereinigten Arbeitgeberorganisationen, darunter DER MITTELSTANDSVERBUND, seien sich jedoch darin einig, dass keine Verbindlichkeit bei der betrieblichen Altersversorgung bestehen darf. Es müsse verhindert werden, auf diesem Wege erneut Lohnzusatzkosten zu generieren. Die BDA habe dazu eine eigene Position erarbeitet. Insbesondere müssten steuerliche Korrekturen vorgenommen werden, denn merkwürdig sei, dass überall die Zinsen sinken, nur bei der betrieblichen Altersversorgung werden noch "Scheingewinne" aus zu hoch bewerteten Altersversorgungen versteuert.

Gesetzgeber verhindert Tarifbindung

Die eigentliche Gefahr zu geringer Tarifbindung in Zukunft sei jedoch, dass der Gesetzgeber zunehmend an die Stelle der Tarifpartner trete. Das prominenteste Beispiel dafür sei der Mindestlohn. Göhner fügte hier allerdings hinzu, dass alle Annahmen der BDA über negative Auswirkungen des Mindestlohnes in der Praxis nicht nachweisbar seien. Eine endgültige Bewertung sei erst nach vier bis fünf Jahren möglich. Ausgerechnet in den Branchen, in denen die niedrigste Tarifstufe unter Mindestlohn lag, sei nach Einführung des Mindestlohnes ein deutlicher Zuwachs an sozialversicherungspflichten Arbeitsplätzen zu verzeichnen.

Mindestlohnkommission soll keine Tarifpolitik betreiben

Im Juni des kommenden Jahres müsse die Mindestlohnkommission eine Evaluierung vornehmen. Diese werde allerdings streitig sein, vor allen Dingen die Anpassung des Mindestlohnes. Hier habe Arbeitgeberpräsident Kramer mit der Arbeitsministerin Andrea Nahles und den Gewerkschaften eine Vereinbarung ausgehandelt, die langfristig den Schaden durch den Mindestlohn begrenzen werden. Die Mindestlohnkommission mache danach keine eigene Tarifpolitik, sondern der Mindestlohn entwickle sich im Nachlauf des Tarifindexes und zeichne damit lediglich nach, was die Tarifpartner im gewichteten Durchschnitt in den beiden Vorjahren vereinbart haben. Für die erste Anpassung sei zudem vereinbart worden, dass nicht zwei Jahre zur Indizierung zugrunde gelegt werden, sondern nur 18 Monate. Wenn in diesem Jahr 3 Prozent Tarifsteigerung gemessen werde, im nächsten Halbjahr bis Juni bis 1,5 Prozent, ergebe sich 4,5 Prozent, was 38 Eurocent ausmache. Damit würde der Mindestlohn auf 8,88 Euro steigen. Im Juni nächsten Jahres werde die Frage zu klären sein, ob man für die Zukunft an diesem Mechanismus festhalten könne. Aufgrund der Flüchtlingsdebatte und ggf. erfolgender Konjunktureinbrüche müssten hier Ausnahmen möglich sein. Dazu sein allerdings eine Zweidrittelmehrheit in der Mindestlohnkommission erforderlich.

Im Übrigen wies Hauptgeschäftsführer Göhner darauf hin, dass sich die BDA in zunehmendem Maße auch um weiterreichende politische Themen jenseits der Tarifarbeit kümmert, wie z. B. die Eurokrise, TTIP und die Erbschaftsteuer. Hier sei man in engem Dialog mit den anderen Wirtschaftsverbänden.

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