Kartellrecht: Bundestag verabschiedet 9. GWB-Novelle

Das Wettbewerbsrecht wird für das Zeitalter der Digitalisierung fit gemacht. Verbundgruppen finden allerdings keine hinreichende Berücksichtigung.

Berlin, 17.03.2017 - Die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft stellt das Wettbewerbsrecht vor neue Herausforderungen. Viele Märkte verändern sich schneller als in den vergangenen Jahrzehnten. Gerade internet- und datenbasierte Geschäftsmodelle können dabei rasch zu einer Marktkonzentration führen. Die 9. Novelle des Wettbewerbsrechts verbessert den Ordnungsrahmen für die digitalisierte Wirtschaft und erleichtert den Schadensersatz für Kartellgeschädigte.

Deutscher Bundestag, BerlinDas Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wurde in den letzten Jahrzehnten wiederholt an veränderte marktwirtschaftliche Gegebenheiten angepasst. Zuletzt hat das Bundeskabinett am 28. September 2016 einen vom BMWi vorgelegten Entwurf für die 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verabschiedet, die das deutsche Wettbewerbsrecht zeitgemäß umgestaltet.

Der Ordnungsrahmen für die digitalisierte Wirtschaft wird verbessert

Mit der 9. GWB-Novelle wird das Wettbewerbsrecht an die zunehmende Digitalisierung der Märkte angepasst. So können die Kartellbehörden bei ihrer Arbeit künftig auch Faktoren berücksichtigen, die im digitalen, internetbasierten Umfeld eine spezielle Bedeutung haben – beispielsweise bei sogenannten mehrseitigen Märkten und Netzwerken wie vielen werbefinanzierten Suchmaschinen und Vergleichsportalen.

Mit der Reform sollen vor allem Netzwerk- und Skaleneffekte, die zu Marktkonzentration führen können, sowie der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und das Verhalten der Nutzergruppen besser berücksichtigt werden können. Auf diese Weise werden die Kartellbehörden im Rahmen der Missbrauchsaufsicht und der Fusionskontrolle die Marktstellung von Unternehmen besser beurteilen können.

So wirkt das Wettbewerbsrecht einer möglichen Marktbeherrschung oder ihrem Missbrauch entgegen. Außerdem wird klargestellt, dass ein kartellrechtlich relevanter Markt auch dann vorliegen kann, wenn zwischen den unmittelbar Beteiligten kein Geld fließt, wie es bei vielen internetbasierten Angeboten für Privatnutzer der Fall ist: bei Suchmaschinen, Vergleichsportalen, Informationsdiensten oder Unterhaltungsmedien.

Fusionskontrolle wird auf neue Fälle erweitert

Mit der Novelle wird der Anwendungsbereich der Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt erweitert, so dass zukünftig auch das Marktpotential und die wirtschaftliche Bedeutung des Zielunternehmens erfasst werden. Nach dem Entwurf sollen auch Zusammenschlüsse der Fusionskontrolle unterliegen, in denen das erworbene Unternehmen weniger als fünf Millionen Euro Umsatz in Deutschland erzielt, der Wert der Gegenleistung (in der Regel der Kaufpreis) aber über 400 Millionen Euro liegt.

Auf Basis dieser Regelung kann das Bundeskartellamt auch solche Zusammenschlüsse prüfen, in denen große, etablierte Unternehmen ihre Marktbeherrschung durch die Übernahme junger, innovativer Unternehmen mit einem hohen wirtschaftlichen Wert begründen oder verstärken wollen.

Regelungslücken bei der Bußgeldhaftung werden geschlossen

Zudem stellt die 9. Novelle des GWB die Haftung von Konzernen und Rechtsnachfolgern für Bußgelder sicher. Sie verhindert, dass sich Kartellbeteiligte durch Umstrukturierungen oder Vermögensverschiebungen ihrer Bußgeldhaftung entziehen können.

Geldbußen wegen Kartellrechtsverstößen sollen nicht nur gegen die handelnde Tochtergesellschaft, sondern auch gegen die lenkende Konzernmuttergesellschaft und gegen Nachfolger verhängt werden können.

Kartellgeschädigte werden gestärkt

Ein weiterer Schwerpunkt der 9. GWB-Novelle ist die Stärkung der Rechte von Kartellgeschädigten, die Schadensersatz zukünftig einfacher geltend machen können sollen. Verbraucher oder Unternehmen, denen durch Kartelle Schaden entstanden ist, bekommen diesen Schaden schneller und einfacher vor Gericht ersetzt.

Die 9. GWB-Novelle dient damit der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kartell-Schadensersatz (Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014) über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union.

Die gleichzeitige Stärkung der Geschädigten und die Heranziehung der Konzernmütter für die Kartellrechtsverstöße ihrer Tochterunternehmen werden eine präventive Wirkung entfalten: Kartelle werden wirtschaftlich unattraktiv.

Spitzenverband fordert Liberalisierung des Per-Se-Verbots für Verbundgruppen

Zu kritisieren ist allerdings zum einen die Entfristung des Verbots des Anbietens von Lebensmitteln unter Einstandspreis sowie die Verschärfung der Regelungen zur missbräuchlichen Ausnutzung von Nachfragemacht, zum anderen die Tatsache, dass die GWB-Novelle - im Gegensatz zu der nun aufgenommenen Legalausnahme vom Kartellverbot für verlagswirtschaftliche Kooperationen - die sich ebenfalls zuspitzende Situation des kooperierenden Mittelstandes sowie die diesbezügliche Forderung des MITTELSTANDSVERBUNDES nach einem Nachteilsausgleich im Hinblick auf die Preispolitik nicht entsprechend würdigt.

Dabei geht es weder um eine grundsätzliche Abschaffung des Verbots der Preisbindung im Vertikalverhältnis, noch um eine generelle Besserstellung der Verbundgruppen und Franchisesysteme. Es geht um Nachteilsausgleich und fairen Wettbewerb. Verbundgruppen und Franchisesysteme bilden mit ihren selbständigen Anschlusshäusern kein klassisches Vertikalverhältnis im Sinne der Wettbewerbsordnung - so wie z.B. das Verhältnis zwischen Hersteller/Lieferant und Handel.

Denn Verbundgruppen folgen einem förderwirtschaftlichen Auftrag, den sie qua Gesetz (§ 1 GenG) oder Satzung zu erfüllen haben. Ihre Anschlusshäuser sind häufig Gesellschafter der Verbundgruppe und damit an den Entscheidungsprozessen unmittelbar beteiligt. Überdies nehmen Verbundgruppen mit ihren Anschlusshäusern verschiedene wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben wahr, z.B. die Gewährleistung der Nahversorgung im ländlichen Raum, die Diversifizierung im Handel und nicht zuletzt auch gesellschaftspolitisch gewünschte städtebauliche Aspekte (lebendige Innenstädte). All diese Punkte treffen auf den klassischen Markenhersteller im Verhältnis zu seinen Abnehmern nicht oder nicht in gleichem Maße zu.

Die Europäische Kommission hat zwar in den Vertikal-Leitlinien für drei Konstellationen die Bedingungen konkretisiert, unter denen eine vertikale Preisbindung als einzeln freigestellt angesehen werden kann, nämlich (a) Sonderangebotskampagnen von 2-6 Wochen Dauer in Franchise- oder ähnlichen Vertriebssystemen, (b) Einführung eines neuen Produktes oder eines bekannten Produktes auf einem neuen geographischen Markt und (c) bei Erfahrungsgütern oder komplizierten Produkten, für die nachweislich ein Trittbrettfahrerproblem besteht.

Diese drei von der Kommission konkretisierten Konstellationen sind jedoch sehr beschränkt, und insbesondere für die Konstellationen (b) und (c) sind die von der Kommission aufgestellten Voraussetzungen sehr weitreichend. Zudem sind außerhalb dieser drei Konstellationen die Anforderungen an den Nachweis der Freistellungsvoraussetzungen bei vertikaler Preisbindung sehr hoch. Darüber hinaus besteht – wie stets bei Kernbeschränkungen – für den Fall, dass den Unternehmen der ihnen obliegende Beweis der Einzelfreistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV nicht gelingt, ein erhöhtes Bußgeldrisiko.

Legalausnahme stärkt Verbundgruppen

Nach gegenwärtigem Stand ist daher die rechtlich verbindliche Vereinbarung von (Mindest-) Weiterverkaufspreisen in Verbundgruppen und Franchisesystemen mit ganz erheblichen Risiken verbunden, so dass die eingangs dargestellten Nachteile für Verbundgruppen und ihre Anschlusshäuser kaum vermindert fortbestehen.

Eine Legalausnahme im Bereich der Preisbindung für Verbundgruppen und Franchisesysteme würde eine Stärkung der wirtschaftlichen Grundlage der beteiligten Unternehmen ermöglichen, um im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern zu bestehen. Eine derartige Liberalisierung wäre aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES auch vor dem Hintergrund der sich nach wie vor verschärfenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Handels- und Handwerksunternehmen im Umbruch der Marktlandschaft und damit einhergehender struktureller Änderungen mit Blick auf die schützenswerte Vielfalt von Handels-, Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen zugunsten der Verbraucher wettbewerbspolitisch angezeigt und gerechtfertigt.

Der Bundesrat wird am 31. März über das Gesetz beschließen, so dass ein Inkrafttreten im April möglich erscheint.

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