Plattformverbote in Vertriebsverträgen bald rechtens?

Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Frage der Zulässigkeit von Onlinebeschränkungen wird mit Spannung erwartet.

Brüssel, 08.06.2017 - „Des einen Freud, des anderen Leid“, so könnte man die mitunter scharf geführte Diskussion zwischen Markenindustrie, Handel, Kartellbehörden und -gerichten um Vertriebsbeschränkungen auf Internet-Marktplätzen beschreiben. DER MITTELSTANDSVERUND hatte bereits verschiedentlich über das auch für den kooperierenden Mittelstand höchst spannende Thema berichtet (siehe verschiedene Links unten zu Beiträgen Deuter/OLG Frankfurt, Acics/OLG Düsseldorf, Sektoruntersuchung E-Commerce).

Interessen sind unterschiedlich

Wenn von Onlinebeschränkungen die Rede ist, sind damit regelmäßig Beschränkungen des Vertriebs über Online-Plattformen wie Amazon-Marketplace, ebay & Co. gemeint (sog. „Plattformverbote“), die dem Handel im Rahmen von (selektiven) Vertriebsvereinbarungen durch die Lieferanten auferlegt werden.

Bei der kartellrechtlichen Bewertung derartiger Beschränkungen, namentlich der Frage, ob sich das Verbot der Nutzung von Onlineplattformen als unzulässige Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB darstellt, treffen widerstreitende Interessen aufeinander: Auf der einen Seite die Interessen der (Marken)Industrie, der daran gelegen ist, dass die qualitativen Kriterien ihrer selektiven Vertriebssysteme auch in Webshops eingehalten werden. Sie möchte daher nicht in Webshops oder auf Plattformen vertreten sein, die sie nicht selbst auch in ihrem selektiven Vertriebssystem zugelassen hat.

Mehr Publikum?

Auf der anderen Seite u.a. die Position des deutschen Bundeskartellamtes (BKartA) sowie einzelner Gerichte, die diese Praxis kritisch sehen. Nach ihrer Ansicht sind große Online-Plattformen eine wichtige Möglichkeit gerade für kleine und mittlere Händler (KMU) ein großes Publikum zu erreichen. Denn durch die Bündelung der Angebote verschiedener Webshops auf dem Marktplatz von Amazon würden die Suchkosten der Endkunden erheblich abgesenkt, da diese andernfalls jeden Webshop unter dessen individueller URL abrufen müssten. Das BKartA unterstellt den Herstellern damit, sie würden mit ihren Onlinebeschränkungen lediglich den Wettbewerb der Händler einschränken wollen, um höhere Preise erzielen zu können.

Die Frage, inwieweit Beschränkungen, die die Möglichkeiten des Verkaufs über Online-Marktplätze für Einzelhändler begrenzen, war nun auch Gegenstand der von der EU-Kommission durchgeführten Sektoruntersuchung E-Commerce, deren Abschlussbericht unlängst vorgestellt wurde. Die Ergebnisse zeigten ein recht uneinheitliches Bild:

  • Mehr als 90 Prozent der befragten Einzelhändler nutzen ihren eigenen Online-Shop für den Online-Verkauf. 31 Prozent der befragten Einzelhändler verkaufen sowohl über ihre Online-Shops als auch über Marktplätze und nur 4 Prozent verkaufen ausschließlich über Marktplätze. Während eigene Online-Shops weiterhin der wichtigste Online-Verkaufskanal für Einzelhändler bleiben, hat die Nutzung von Marktplätzen im Laufe der Zeit zugenommen.
  • Marktplätze spielen eine wichtigere Rolle in manchen Mitgliedstaaten wie Deutschland (62 Prozent der befragten Einzelhändler nutzen Marktplätze), dem Vereinigten Königreich (43 Prozent) und Polen (36 Prozent) als in anderen Mitgliedstaaten wie Italien (13 Prozent) und Belgien (4 Prozent).
  • Marktplätze stellen für kleinere und mittelgroße Einzelhändler einen wichtigeren Verkaufskanal als für größere Einzelhändler dar. Die Ergebnisse zeigen, dass kleinere Einzelhändler typischerweise einen größeren Teil ihrer Verkäufe über Marktplätze realisieren als größere Einzelhändler.

Die Mitgliedstaaten mit dem höchsten Anteil von Einzelhändlern, die von Marktplatzbeschränkungen berichten, sind Deutschland (32 Prozent) und Frankreich (21 Prozent). Die im Rahmen der Sektoruntersuchung festgestellten Beschränkungen reichen dabei von vollständigen Verboten bis zu Beschränkungen des Verkaufs über Marktplätze, die gewisse Qualitätsanforderungen nicht erfüllen. Beschränkungen der Nutzung von Marktplätzen sind meist in selektiven Vertriebsvereinbarungen zu finden. Sie betreffen normalerweise Markenartikel, sind jedoch nicht auf Luxusartikel oder komplexe oder technische Waren beschränkt.

Keine Unzulässigkeit per se

Sehr interessant sind sodann die rechtlichen Schlussfolgerungen, die die EU-Kommission aus den gewonnenen Erkenntnissen zieht. Hierzu wird im Abschlussbericht ausgeführt:

„Als Folge dessen zeigen die Ergebnisse der Sektoruntersuchung – unbeschadet der anhängigen Vorabentscheidungsvorlage –, dass (absolute) Marktplatzverbote nicht als Kernbeschränkungen im Sinne von Art. 4 Buchstabe b und Art. 4 Buchstabe c der Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikalvereinbarungen (GVO Vertikal) angesehen werden sollten.“

Zwar relativiert die Kommission sogleich Ihre Subsumtion, indem sie weiter feststellt: „Das bedeutet nicht, dass absolute Marktplatzverbote generell mit den EU-Wettbewerbsregeln im Einklang sind. Die Kommission oder eine nationale Wettbewerbsbehörde kann in besonderen Fällen entscheiden, den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellungsverordnung zu entziehen, wenn dies durch die Marktsituation gerechtfertigt ist.“

Im Ergebnis hat die Kommission damit aber eine klare Richtung vorgegeben und zwar die, dass Plattformverbote in Vertriebsvereinbarungen nicht per se unzulässig sind.

Zahlreiche Gerichtsurteile

Auch die Gerichte nehmen munter an der Diskussion um Plattformverbote teil. Während bis Ende 2015 wohl die überwiegende Meinung der Gerichte (zusammen mit der Auffassung des BKartA) ein generelles Plattformverbot als Kernbeschränkung und damit unzulässige Maßnahme einstufte (z.B. OLG Schleswig 16 U (Kat) 154/13; LG Frankfurt 2-03 O 158/13), entschied Ende 2015 das OLG Frankfurt am Main überraschend zugunsten eines Markenherstellers, der seinen Händlern ein Plattformverbot auferlegt hatte (Verfahren Deuter).

Nachdem in diesem Verfahren zunächst Revision vom klagenden Händler zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe eingelegt worden war und damit die Hoffnung auf eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage bestand, wurde das Rechtsmittel zwischenzeitlich zurückgenommen, so dass die Entscheidung des OLG Frankfurt rechtskräftig ist.

Offenes Verfahren beim EuGH

Auf europäischer Ebene ist dagegen noch ein Verfahren (Vorabentscheidungsvorlage) beim EuGH anhängig. In der Rechtssache C -230/16 Coty Germany GmbH gegen Parfümerie Akzente GmbH („Coty-Germany“) hat wiederum das OLG Frankfurt am Main dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob ein Verbot der Nutzung von Plattformen, die einer dritten Partei gehören, in einer Vereinbarung zum selektiven Vertrieb mit Art. 101 Absatz 1 AEUV vereinbar ist und ob eine solche Beschränkung eine Kernbeschränkung im Sinne von Art. 4 Buchstabe b und/oder Artikel 4 Buchstabe c der vertikalen Gruppenfreistellungsverordnung darstellt.

Hierzu wurde am 30. März beim EuGH in Luxemburg verhandelt. Dem Vernehmen nach zeigten sich die Vertreter von Coty vorsichtig optimistisch, dass der EuGH das selektive Vertriebsmodell stärkt und Plattformverbote nicht per se als Wettbewerbsbeschränkung ansehen könnte.

"Dieses Ergebnis würde auch vom MITTELSTANDSVERBUND begrüßt werden, hätte sich damit doch der EuGH nicht – so wie es häufig die Praxis des BKartA ist – allein auf den Preis als wesentliches Entscheidungskriterium beschränkt, sondern auch Faktoren wie Beratung, personelle Qualifikation, Einkaufserlebnis und andere im stationären Handel wesentliche Punkte in seiner Beurteilung berücksichtigt", erläutert Dr. Marc Zgaga, Geschäftsführer Recht & Wettbewerb. Die Entscheidung wird für Herbst dieses Jahres erwartet.

Offenbar beflügelt von den Ausführungen der EU-Kommission, der inzwischen rechtskräftigen Entscheidung des OLG Frankfurt am Main in Sachen Deuter sowie den hoffnungsvollen Erwartungen an die EuGH-Entscheidung in Sachen Coty haben bereits erste deutsche Unternehmen ein generelles Plattformverbot in ihre Vertriebsverträge aufgenommen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Praxis insbesondere vor dem BKartA hält.

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