Politisches Großaufgebot zum Tag der Deutschen Industrie

Von den politischen Granden fehlten nur Horst Seehofer und ein Repräsentant der Linken. Beim Tag der Deutschen Industrie schauten die Bundeskanzlerin, der Vizekanzler und die Vorsitzenden zweier Oppositionsparteien vorbei.

Berlin, 03.11.2015 — "Alles Leben ist Probleme lösen", mit diesem Zitat des Philosophen Karl Popper beschrieb der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie BDI, Dr. Markus Kerber, in seinem Schlusswort einer Tagung zwischen dem "Blick aus dem Weltraum" von ESA-Astronaut Alexander Gerst bis zu den tagespolitischen Herausforderungen des "Bodenpersonals" die aktuelle Rolle der Deutschen Industrie. In Zeiten von Digitalisierung und zunehmend globaler Verflechtung der Wirtschaft sei gerade die Deutsche Industrie von Innovationen abhängig. Dass sie diese mit den richtigen Rahmenbedingungen vorantreiben kann, machten die Vorstandsvorsitzenden aus den Häusern Thyssen-Krupp und Bayer deutlich.

Denn aus Produkten werden zunehmend komplexe Problemlösungen. Große Hoffnung setzen Chemie und Pharma beispielsweise auf organische Elektronik, bei der Bauteile direkt aus Druckern ohne Schwer- oder Edelmetalle erzeugt werden, oder auf den einzelnen Menschen individuell angepasste Medikamente. Hierbei mit den Kunden und Partnern richtig vernetzt zu sein, sei mehr denn je Voraussetzung für Erfolg im globalen Wettbewerb.

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) warnte die mehr als 1.400 Teilnehmer der Veranstaltung, darunter auch der Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES, Dr. Ludwig Veltmann, davor, über die aktuelle Flüchtlingskrise, das große Ganze aus dem Blick zu verlieren. "Wenn wir zu klein denken, wenn wir zu sehr auf uns bezogen denken, dann wird das Europa und damit unsere Rolle in der Welt gefährden", sagte Merkel. Die Einheit Europas dürfe nicht durch nationale Egoismen gefährdet werden. Merkel warb erneut für eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa.

Die Wirtschaftsvertreter riefen die Große Koalition zu Geschlossenheit in der Flüchtlingskrise auf. "Diese Situation wird dauern und eine gewaltige Kraftanstrengung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft", sagte der BDI-Präsident Ulrich Grillo und forderte die Politik auf, gemeinsame Lösungen zu finden.

Die schwarz-rote Bundesregierung habe eine große Verantwortung. Erforderlich sei ein effizientes Krisenmanagement: "Es kann nicht sein, dass man Wahlkampf betreibt und sich über die Worte 'Transitzonen' oder 'Einwanderungszentren' streitet", so Grillo. Auch wenn der Asylstrom nicht begrenzt werden könne, weil Asyl ein Grundrecht sei, müsse es aber geordnete Verfahren geben. Zentrale Herausforderung sei es, möglichst viele Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Derzeit gebe es rund 600.000 offene Stellen. Und dies seien nur diejenigen, die ausgeschrieben seien.

Je schneller Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert würden, desto schneller zahlten sie Steuern und Sozialabgaben. Grillo mahnte aber Realismus an: "Weder Sprachkenntnis noch Qualifikation können herbeigewünscht werden."

Die hochkarätigen Redner des Tages nahmen in Ihren Ausführungen allesamt Kurs auf das Jahr 2030. Für den Präsidenten der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände BDA, Ingo Kramer, muss der Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren flexibler werden, um für die "dritte industrielle Revolution" Stabilität zu schaffen. Problematisch sei allerdings, so Professor Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam, "dass die Menschen nicht intelligenter geworden sind, auch wenn die Abiturnoten besser geworden sind". Erforderlich sei eine größere "Durchlässigkeit" an den Schnittstellen zwischen Industrie, Hochschulen und Startups. Auch wies er darauf hin, dass die Qualifikation junger Menschen besser als auf klassischem Wege über die Analyse von Computerspielen ermittelt werden könne.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel warnte trotz 1,8 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland, trotz einer Rekordbeschäftigung von 43 Millionen Menschen und trotz steigender Kaufkraft sowie sinkender Arbeitslosigkeit vor einer zu niedrigen Investitionsquote. Und Grünen-Chef Cem Özdemir warb für ein stärkeres Engagement der Völkergemeinschaft gegenüber den kriegstreibenden Regimen im arabischen Raum.

Eine klare Distanz zu Europa nahm der Britische Finanzminister Georg Osborn ein. Bei zu starker Integration der Mitgliedsstaaten Europas sehe er eine Reduktion der Handlungsfähigkeit und damit der notwendigen Geschwindigkeit im internationalen Wettbewerb. Er plädierte stattdessen für eine starke und enge Partnerschaft zwischen Großbritannien und Deutschland. Mit Blick auf das für Herbst 2017 anstehende Referendum wies er darauf hin, dass derzeit nur eine Minderheit der Briten eine stärkere Anbindung an Europa wünsche.

Mit dem US-Botschafter John B. Emerson war sich die Deutsche Industrie dagegen einig in der Notwendigkeit, dass das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP auf schnellstem Wege zu einem guten Abschluss gebracht werden muss.

Und schließlich bezog der FDP-Vorsitzende Christian Lindner für die "außerparlamentarische Opposition" Stellung und beklagte die schlechte Netzversorgung, die gerade dem Mittelstand einen schmerzlichen Standortnachteil verursache. Auch die Regulierungen auf dem Energiemarkt und die Erbschaftssteuer nahm er kritisch unter die Lupe.

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