Zuckerhut-Kongress: Unsicherheit ist Normalzustand

Das von der Lebensmittel Zeitung bereits zum 58. Mal veranstaltete Branchenhighlight für die gesamte Lebensmittelwirtschaft griff aktuelle Trends und Perspektiven auf. Die hochkarätigen Kongressredner waren sich einig, dass Prognosen angesichts der zunehmenden Bedeutung der mobilen Kommunikation und der voranschreitenden Digitalisierung deutlich schwieriger werden.

Berlin, 05.11.2015 — Mit starken Worten machte der stellvertretende Chefredakteur der Lebensmittel Zeitung, Bernd Biehl, die Schieflage deutlich, die den klassischen Markenartikeln der Lebensmittelwirtschaft derzeit das Leben schwer machen.

Insbesondere der Einstieg von Aldi in den Verkauf renommierter Herstellermarken sei ein "Sündenfall", der die gesamte Branche aufgewühlt habe. Letztlich könne in Zeiten vollkommender Markttransparenz kein Händler die Konditionen mehr für sich retten. Mit "Inkontinenz des Handels" bezeichnete er drakonisch das unablässige "Nach-unten-Durchtröpfeln" der Konditionen. Dagegen trete die Branche mit Handelsmarken an, die im zurückliegenden Jahrzehnt von 26 Prozent auf 40 Prozent Marktanteil gestiegen seien. Mit dem Effizienzvorteil des Discount habe dieser beständig seinen Radius erweitert. Da in jüngster Zeit die Wachstumsraten aber deutlich zu sinken drohten, habe man bei Aldi mit der Distribution bekannter Herstellermarken einen Strategiewechsel eingeleitet.

Die Initiativen des Handels mit e-Food befinden sich gemäß Christiane Preuschat, Mitglied der Chefredaktion der LZ, derzeit noch im "Versuchslabor". Es gebe noch keine einzige wirkliche Erfolgsgeschichte. Bei Haustürlieferungen honoriere der Kunde den Mehraufwand für den Händler bislang nicht. Click Collect sei ein Hoffnungsschimmer. Alle Anstrengungen im Internet müssten deshalb zum Ziel haben, den Kunden in den Laden zu locken. Der Markt sei jedoch im Aufbruch. Amazon habe große Pläne und vor allem einen langen Atem.

Auch auf der Seite der Bezahlsysteme, die Jörg Rode, ebenfalls LZ, vorstellte, fällt der Name des Online-Giganten. Amazon steige nämlich gerade auch als Bezahlsystem ein, ebenso wie dies Apple, Samsung, Google und Alibaba oder Kreditkartenfirmen wie Mastercard, VISA und American Express bereits anbieten. Deutsche Produkte wie Yapital seien bislang "noch nicht zum Fliegen gekommen". Etwas Optimismus gehe von einer Payback-Bezahlfunktion aus, weil das System mit 27 Mio. Kunden eine "kritische Masse" aufweisen könne. Über die Nutzung der Systeme könne der Händler Kundendaten generieren und bei richtiger Nutzung seinerseits dem Kunden weitere individuelle Vorteile bieten. Die Zukunft sei diesbezüglich in vollem Gange, und jeder Händler könne selbst entscheiden, ob er als passives "Objekt" dabei sei, oder aktiv.

Prof. Werner Reinartz, Universität zu Köln, konnte nachweisen, dass das Handelsmodell derzeit vom Konsummodell getrieben wird. Dies verkürze drastisch die durchschnittliche Verweildauer der Unternehmen im Markt. Die klassischen Aufgaben des institutionellen Handels, nämlich die Logistikfunktion, die Sortimentsfunktion, die Informationsfunktion, die Transaktions-/Bezahlfunktion und die Dienstleistungsfunktion werden heute zunehmend von einzelnen (externen) Spezialisten übernommen. Viele Funktionen werden zudem im Wege der vertikalen Integration von den Lieferanten selbst übernommen oder auf den Kunden übertragen.

Dies entzöge dem System dauerhaft die Effizienzgewinne. Nach dem Handel vollziehe sich diese Entwicklung aktuell auch im Bereich des linearen Fernsehens, das es so in 5 – 8 Jahren nicht mehr geben werde. Als besonderer Erfolgsfaktor habe sich mittlerweile die "Selbstkannibalisierung" herausgestellt, d.h. ein Unternehmen steigt in die digitale Geschäftswelt zu Lasten des bisherigen konventionellen Bereichs ein.

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