Investieren wäre besser als sparen

Der Mittelstand droht, zu verkümmern, auch weil falsche Politik den Firmen das Leben oft schwer macht. Was muss sich ändern? Ein Gastbeitrag von Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer DER MITTELSTANDSVERBUND – erschienen am 8. Januar 2024 in der FAZ.

Berlin, Januar 2024 – Die Einigung der Ampel-Regierung im Haushaltsstreit war im Dezember nur vermeintlich ein Durchbruch. Vermeintlich deshalb, weil der strikte Sparkurs keine Kernprobleme der deutschen Wirtschaft wirklich löst und erwartungsgemäß gleich an den nächsten Tagen wieder bröckelte. Dabei waren die Herausforderungen selten größer. Gerade für den Mittelstand lassen sich quer durch fast alle Branchen die direkten und indirekten Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine feststellen: Energiekostenexplosion, Inflation, Zinsanstieg, Kaufkraftverlust und deutlich höhere Löhne. Die Liste ließe sich munter fortsetzen. In Summe befindet sich der Kern unserer Wirtschaft zum Jahreswechsel im Sinkflug. Angesichts zunehmender weltweiter geopolitischer Spannungen ist zudem kaum Besserung erwarten.

Es drängt sich die Frage auf, ob Deutschland mit den Herausforderungen nicht besser umgehen könnte. Ein Vergleich mit anderen Ländern gibt erste Hinweise. Auffällig ist etwa, dass Deutschland als einziges aller großen Industrieländer (G7) schrumpft statt wächst. Auch der Vergleich Deutschlands mit anderen EU-Ländern führt zu einem ernüchternden Befund. Damit die deutsche Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb wieder „salonfähig“ wird, hilft ihr „eisernes Sparen“ wohl kaum. Sie muss vielmehr durch einen tiefgreifenden Transformationsprozess. Diesen müssen Politik und Wirtschaft im Schulterschluss gestalten. 

Schon jetzt zeichnet sich eine Strukturbereinigung ab, die vielen Unternehmen einen steinigen Weg bereiten wird. An dessen Ende, soviel ist absehbar, werden nicht alle gelangen. Kommt doch für viele noch hinzu, dass sie nicht nur einem sich verschärfenden Fachkräftemangel ausgesetzt sind, sondern auch niemand in Sicht ist, der die altersbedingte Nachfolge des Inhabers anzutreten gedenkt. Auch den verbleibenden Unternehmen bleibt kein Zurücklehnen. Um mit immer engeren Margen fertig zu werden, müssen alle Augen auf Innovation und Effizienzverbesserung gerichtet sein. 

Solchem Optimierungsstreben der mittelständischen Unternehmen steht ein riesiges Hindernis im Weg. Es ist die Politik, die Mittelständlern Flügel verleiht oder ihnen Fesseln anlegt. Deren Verhältnis bestimmt das politische Klima. Mit überzogenen Steuern und Abgaben, überbordender Bürokratie, fehlenden Perspektiven, widersprüchlichen Botschaften, handwerklichen Fehlern in der Gesetzgebung macht es die Ampel-Koalition dem Mittelstand immer schwerer,  sich aus diesen Fesseln zu befreien. 

Klar ablesbar ist dies im Bausektor. Dieser ist angesichts der negativen Erwartungen der Bauwilligen, ganz gleich ob aus dem privaten oder aus dem gewerblichen Bereich, in einem katastrophalen Zustand. Nicht nur dass die Zahl der Bauanträge dramatisch eingebrochen ist, viele bereits genehmigte Bauten werden erst gar nicht realisiert. 

Wer die Konjunkturkurven der vergangenen Jahre näher unter die Lupe nimmt, wird unschwer erkennen, was alles vom Bau abhängt und wie er die Binnenwirtschaft bestimmt. So ist die Baubranche nicht nur ein wichtiger Arbeitgeber, sondern sie gibt maßgebliche Impulse für viele vor- und nachgelagerte Branchen in der Lieferkette. Stoppt der Bau, schwindet die Nachfrage nach Baustoffen und Baumaschinen. Ohne gewerblichen Bau entstehen keine neuen Produktionsanlagen und keine neuen Büroeinrichtungen und ohne privates Bauen keine Küchen, keine Möbel, keine Kachelöfen, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.

Fast ist man geneigt, die Einigung der Ampel als „vergiftet“ zu bezeichnen. Denn sie hinterlässt keineswegs nur materielle Härten. Der weit größere Flurschaden, den sie angerichtet hat, wiegt schwerer. Das Vertrauen hat Schaden genommen. 

Vertrauen in das Wort eines Bundeskanzlers, der einst „Führung“ versprach, aber nun die Richtung verschweigt. Vertrauen in einen Finanzminister, für den Steuererhöhungen stets eine rote Linie waren – oder in einen Wirtschaftsminister, der über Nacht die Kaufprämie für E-Autos kassierte, die bereits bestellt waren. Und das sind nur wenige Beispiele. Der wichtigste Rohstoff eines Landes ohne natürliche Bodenschätze ist nun mal Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik und in berechenbare Rahmenbedingungen. In einem Klima des Misstrauens droht der Mittelstand dagegen zu verkümmern. 

Und genau deshalb war der Haushaltskompromiss vom 15. Dezember ein fauler, auch wenn er sich vielleicht für die Akteure wie eine Rettungsinsel anfühlte. Was aber nutzt eine Rettungsinsel, die mit Haarrissen verloren und fern der rettenden Küste durch aufgewühlte Meere treibt? 

Eine noch schlechtere Variante wäre es jetzt, die Politische Agenda etwa durch Neuwahlen leichtfertig einer Rechts-Außen-Partei zu überlassen. Ein Leichtes ist das beileibe nicht. Gleichzeitig eine Strukturhaushaltkrise zu lösen, eine Migrationskrise zu händeln und eine Standort- und Wirtschaftskrise zu überwinden, braucht Klarheit und Mut. Es braucht aber auch Verlässlichkeit als Basis für Vertrauen.

Wie rasch sich Vertrauen „versemmeln“ lässt, war eindrucksvoll an der Bauerndemonstration am Brandenburger Tor abzulesen. Warum der Abbau der Subventionen gerade bei der Landwirtschaft so drakonisch sein musste, kann ernsthaft niemand nachvollziehen. Denn wollte man diese nicht gerade aus ökologischen Gründen am Standort Deutschland erhalten, um nicht wieder verstärkt Lebensmittel über weite umweltfeindliche Transportwege um den ganzen Erdball beschaffen zu müssen? Und ist der Gedanke nicht ein wenig naiv, dass es zu dem schweren Dieselschlepper auf absehbare Zeit weder eine elektrische Variante noch einen Umstieg auf tierische Gespanne geben wird?

Und für all jene, die es nicht schon vorher wussten, nun ist es traurige Gewissheit: Phantasievolle Wortschöpfungen wie „Zeitenwende“ und „Doppel-Wumms“ erzeugen keine Wachstumskurve für Wirtschaft und Mittelstand. Wachstum korrespondiert hingegen mit politischer Führung. Verheißt diese Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten, haben Staat und Bürgerinnen und Bürger verlässliche Unternehmerinnen und Unternehmer an ihrer Seite, die für Wohlstand sorgen, die Arbeits- und Ausbildungsplätze bieten und die sich noch dazu um das lokale Vereinsleben ebenso kümmern, wie um soziale, kulturelle oder ökologische Belange. Stellen die Rahmenbedingungen dagegen hohe Lasten und vielfältige Barrieren dar, kommt der Konjunkturmotor des Mittelstands deutlich ins Stottern. 

Trotz einiger Fehler im Umgang mit den Schutz- und Hygienemaßnahmen wäre es für die Corona-Krise vermessen, der Politik ein Verschulden für deren Ursprung zuzusprechen. Bei der Energiekrise stellt sich das dagegen völlig anders dar. Gewiss, nach den Prophezeiungen des Herbstes 2022 hätte es noch schlimmer kommen können und oft genug hat sich die Bundesregierung dafür selbst gelobt, dass sie die Bürgerinnen und Bürger durch den Winter gebracht habe. Aber auch wenn die Bundesregierung die einseitige Abhängigkeit vom russischen Erdgas von der Vorgängerregierung „erbte“, so hat sie den gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle und Atomenergie mit Vehemenz vorangetrieben, ohne die erneuerbaren Energien mit der gleichen Energie auszubauen. Das war ein großer Fehler. Die Kostenexplosion war logische Folge. Die Preisdeckelung eine eher teure Verschlimmbesserung.

Die Flüchtlingskrise müsste keine solche sein. Die Beschleunigung der Prozesse sei hier ebenso angemahnt wie die politische Bereitschaft, möglichst sofort einen Jeden, der arbeiten möchte und eine Arbeit findet, auch zu lassen. Ewiges „Dahinvegetieren“ in Turnhallen und Notunterkünften, um über Monate auf einen Status zu warten, ist in Wirklichkeit oft fern jeder Menschenwürde und weit ab von ökonomischer Vernunft. Nicht wenige mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer berichten von ihrem Ärger, wenn sie den geflüchteten Menschen eine Arbeit anbieten könnten, diese sie aber aufgrund geltender Bestimmungen nicht annehmen dürfen. 

Einer besonders kritischen Würdigung bedarf schließlich der Fortschritt des Modernisierungsstandes der Volkswirtschaft. Im Vergleich aller europäischen Länder belegt Deutschland einen hinteren Platz bei der Digitalisierung. Die globale Plattformökonomie teilen sich in fast allen Fällen längst andere Länder und auch bei Künstlicher Intelligenz rangiert Deutschland nicht auf den vordersten Plätzen. Auch bei den klassischen Infrastrukturen ist Aufholbedarf. Verkehrswege, Telekommunikation, Schulen, Kitas und vieles mehr wurden hinsichtlich notwendiger Investitionen über Jahrzehnte auf die lange Bank geschoben. Mit fatalen Folgen.

Ohne der Haushaltsdisziplin die grundsätzliche Bedeutung abzusprechen, ist zusammenfassend der in einem Formelkompromiss gefundene strenge Sparkurs zu hinterfragen. Kluge Staatslenkerinnen und -lenker wissen, dass Sparen bei den öffentlichen Haushalten in prosperierenden Phasen der Konjunktur angeraten ist, in den Phasen der Schwäche dagegen eher gezielte Wachstumsinvestitionen. Eine Volkswirtschaft, die wachsen muss oder möchte, muss bereit sein, in Wachstumsimpulse auch zu investieren. Hierin unterscheidet sie sich nicht von einem Unternehmen. 

An klugen Ansätzen zur Wiederbelebung der gestressten Wirtschaft mangelt es indessen nicht und es verwundert wirklich, dass sie nicht aufgegriffen werden. So beispielsweise eine langjährige Forderung aus dem Mittelstand: nämlich die eines Belastungsmoratoriums. Wieso nicht neue Gesetze und neue Bürokratie einfach zurückzustellen bis zu einem Zeitpunkt, zu dem es sich die Unternehmen wirklich leisten können?

Am Ende muss es natürlich nicht bloß darum gehen, einen drohenden weiteren Abstieg zu verhindern. Vielmehr gilt es, ein positives Zukunftsbild für den Mittelstand in Deutschland zu generieren und seine Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten. 

Selbstverständlich können nicht allein Rahmenbedingen helfen, die durch Politik und Staat gesetzt werden, sondern eigene Anstrengungen bleiben ebenso im Fokus. Wo die Kraft des einzelnen Unternehmens zu schwach ist, liegt es auf der Hand, mit anderen das Gemeinsame zu suchen. Dem liegt nicht nur vorbildhaft die genossenschaftliche Idee zugrunde, sie findet sich heute auch in mannigfacher Ausprägung bei tausenden vornehmlich kleinen und mittleren Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen. 

Was einer alleine nicht schafft, schaffen viele gemeinsam. Diese Erfolgsformel aus dem Lehrbuch von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch hat über die Jahrhunderte nie ihre Gültigkeit verloren. Allein die im Mittelstandsverbund organisierten und in Verbundgruppen kooperierenden mittelständischen 230.000 Unternehmen   mit einem Umsatz von mehr als 513 Milliarden Euro stellen das Tag für Tag unter Beweis. Kluge Mittelstandspolitik ist letztlich eine solche, die Kooperationen begünstigt und ihnen alles an Hindernissen aus dem Weg räumt, was dazu beiträgt, die einzelnen Kooperationsmitgliedern in ihrer Entfaltung zu beeinträchtigen. Eigentlich doch ganz einfach.

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