Europäische Lieferketten-Regulierung: Es wird ernst!

In einem letzten Kraftakt einigten sich die EU-Gesetzgeber am 14. Dezember 2023 über die zukünftige Ausgestaltung der Europäischen Lieferketten-Verordnung. Einige Punkte werden nunmehr in weiteren technischen Verhandlungen finalisiert. Dennoch steht zu befürchten, dass das Ergebnis eine erhebliche Mehrbelastung für Unternehmen darstellen wird.

Brüssel, 14.12.2023 – In den frühen Morgenstunden des 14. Dezember stand fest: Europa bekommt eine Lieferketten-Regulierung! Nach den Aussagen einiger Chef-Verhandler sind viele technische Details noch nicht festgezurrt und werden erst in den nächsten Wochen final zwischen Rat, Kommission und Europäischen Parlament ausverhandelt. Klar ist jedoch bereits jetzt: Die neuen Regeln werden weit über das hinausgehen, was das deutsche Lieferkettengesetz aktuell vorschreibt.

Nachfolgend die Punkte, die nunmehr feststehen:

Grundpflichten:

  • Wie das deutsche Lieferkettengesetz setzt die Europäische Lieferketten-Verordnung auf ein Sorgfaltspflichten- und Berichtssystem.
  • Die von der Richtlinie erfassten Unternehmen müssen alle Risiken entlang der Lieferkette identifizieren, analysieren und ggf. Gegenmaßnahmen zu deren Behebung ergreifen.
  • Die eingeleiteten Schritte sowie eine umfassende Risikoanalyse sollen in einem jährlichen Bericht veröffentlicht werden.

Anwendungsbereich:

  • Unternehmen mit 500 oder mehr Mitarbeitern sowie einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 150 Mio. Euro werden von den neuen Pflichten direkt betroffen sein.
  • Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 40 Mio. Euro werden vom Anwendungsbereich erfasst, wenn sie in „Hochrisikosektoren“ wie bspw. Textilien, Lebensmitteln oder Rohstoffen aktiv sind. Unklar ist hierbei, ob alle dort tätigen Unternehmen oder nur einzelne Stufen der Wertschöpfung, insbesondere die Produzenten, davon betroffen sind.
  • Die Anwendung der Richtlinien und deren Pflichten soll dabei gestaffelt erfolgen:
    • 2027: Nur Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeiter sind betroffen.
    • 2028: Unternehmen ab 500 Mitarbeitern werden betroffen sein.
    • 2029: Auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitern werden betroffen sein, soweit sie in Hochrisikosektoren aktiv sind.
  • Der Finanzsektor ist faktisch von dem Anwendungsbereich ausgenommen (der Umfang der Pflichten scheint Stand heute noch nicht abschließend festzustehen).

Definition „Aktivität in der Lieferkette“

  • Bislang unklar bleibt die Tiefe der Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten. Streitig war bis zuletzt, ob nur direkte oder auch indirekte Geschäftsbeziehungen entlang der Lieferkette von den Unternehmen überwacht und analysiert werden müssen.
  • Hingegen scheint der Handel scheint nach dem vorläufigen Ergebnis von den Lieferkettenpflichten ausgenommen zu sein.
  • Auch wenn Händler danach in Hochrisikosektoren aktiv sind (und damit ab der entsprechenden Größe von den Pflichten erfasst wären), führt dies zu keiner direkten Betroffenheit nach der Europäischen Lieferketten-Verordnung.
  • Gerade für Einzel- und Großhändler im Textil- und Lebensmittelsektor könnte dies zu Erleichterungen führen.
  • Die EU-Gesetzgeber halten hingegen weiter an dem Ansatz der EU-Kommission fest und erweitern die Sorgfaltspflichten auf die Downstream-Aktivitäten der betroffenen Unternehmen. Anders als das deutsche Lieferkettengesetz umfassen die Sorgfaltspflichten nicht ausschließlich die Beschaffung und Lieferung von Waren. Vielmehr sollen der Transport, die Lagerhaltung sowie der Vertrieb von Produkten in die Risikobewertung mit einfließen.

Risikobasierter Ansatz

  • Anders als von der Europäischen Kommission vorgesehen, konnte sich letztendlich ein risikobasierter Ansatz durchsetzen.
  • Die betroffenen Unternehmen müssen ihre Sorgfaltspflichten anhand der potentiell entlang der Lieferkette bestehenden Risiken identifizieren. Hierbei sollen Umfang der Aktivität sowie Risikogeneigtheit derselben bei dem Umfang der Sorgfaltspflicht erheblich sein.
  • Unternehmen, die über die direkten Geschäftskontakte hinaus Risiken identifizieren, sind für deren Behebung bzw. Reduzierung selbst verantwortlich. Sie sollen diese Pflichten nicht auf eventuell zwischengelagerte mittelständische Unternehmen abwälzen können.

Klimaplan

Die betroffenen Unternehmen sollen in ihren Berichten auch darstellen, inwieweit ihre wirtschaftlichen Aktivitäten im Einklang mit dem Plan zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels stehen. Die Richtlinie geht damit im Umfang über den Schutz von Menschenrechten hinaus.

Zivilrechtliche Haftung

  • Unternehmen haften für Schäden, die Arbeitnehmer:innen entlang der Lieferkette aufgrund eigener Geschäftsaktivitäten erleiden.
  • Es bleibt insofern bei dem in Deutschland geltenden allgemeinen zivilrechtlichen Haftungssystem. Unternehmen haften danach bereits heute für Schäden, die sie kausal verursacht haben.
  • Die Ansprüche sollen nach fünf Jahren verjähren.
  • Die EU-Gesetzgeber konnten sich nicht auf ein gesondertes Haftungs-Regime einigen. Die alleinige Missachtung der Pflichten aus der Richtlinie sollte daher nicht zu einer zivilrechtlichen Haftung führen.

Fazit

Unklar ist weiterhin, wie tief die Sorgfaltspflichten in die Lieferkette gehen sollen. Eine wirkliche Abschätzung, welche zusätzlichen Pflichten auf die Unternehmen zukommen werden, bleibt damit weiterhin schwierig. Die Pflichten bzgl. der Lieferkette „Upstream“ in den Bereichen Logistik, Lagerhaltung und Vertrieb treffen mittelständische Unternehmen jedoch ins Mark, denn genau dort befindet sich das Gros der Mittelständler. Es ist zu erwarten, dass diese nunmehr weitere Informationen entlang der Lieferkette sammeln und bereitstellen müssen – und zwar mit Blick auf beide Richtungen der eigenen Wertschöpfung. „Von der oftmals kolportierten KMU-Ausnahme wird daher am Ende des Tages wenig übrig bleiben.“, meint auch Tim Geier, Geschäftsführer Büro Brüssel, DER MITTELSTANDSVERBUND.

DER MITTELSTANDSVERBUND gibt daher weiterhin zu bedenken, dass die angedachten Regeln nicht über das notwendige Maß hinaus gehen sollten. Noch immer wird die reale Betroffenheit mittelständischer Unternehmen komplett ausgeblendet – eine Tatsache, die sich in der Umsetzung der Vorschriften bitter rächen könnte und zu einer weiteren Überforderung und den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit im Mittelstand führen könnte. Es bleibt daher zu hoffen, dass die nunmehr folgenden technischen Verhandlungen zum Anlass genommen werden, auch grundsätzliche Fragen mit dem notwendigen Weitblick zu konzipieren. Eine umfassende Transparenz entlang der Lieferkette wird erst in mehreren Schritten zu realisieren sein – dies sollte sich daher auch in den neuen Vorschriften niederschlagen.

Seite drucken

Ansprechpartner

Tim GeierDER MITTELSTANDSVERBUND
Tim Geier Geschäftsführer Büro Brüssel Mehr Infos
DER MITTELSTANDSVERBUND
E-Mail schreiben
Zurück zur Übersicht