Folgen für den Mittelstand: Preisbindungsverbot von Arzneimitteln

Der Europäische Gerichtshof hat die bestehenden Regeln zur medizinischen Versorgung in Deutschland erneut aufgewirbelt.

Brüssel, 10.11.2016 – Am 19. Oktober entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die bestehenden Regeln zur Preisbindung von Arzneimitteln in Deutschland gegen EU-Recht verstoßen und damit unwirksam sind.

Der Fall

Im Ursprungsfall ging es um die Frage, inwieweit ein von der Deutschen Parkinson Vereinigung ausgehandeltes Bonussystem wirksam ist. Die Deutsche Parkinson Vereinigung hatte als Selbsthilfeorganisation für Parkinson-Patienten mit der niederländischen Versandapotheke DocMorris ein Bonussystem ausgehandelt, das ihre Mitglieder in Anspruch nehmen können, wenn sie bei dieser Apotheke verschreibungspflichtige, nur über Apotheken erhältliche Parkinson-Medikamente kaufen. Dagegen klagte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Sie ist der Auffassung, dass dieses Bonussystem gegen die deutsche Regelung verstößt, die einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel vorsieht.

Das zuletzt mit der Rechtssache befasste Oberlandesgericht Düsseldorf wandte sich an den EuGH, um die Frage zu klären, ob die Festlegung einheitlicher Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel mit dem freien Warenverkehr vereinbar ist.

Der EuGH urteilte, dass die betreffende Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt. Da der Versandhandel für ausländische Apotheken das wichtigste und oftmals einzige Mittel darstelle, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten, würde sich die Beschränkung des Verkaufspreises auf diese besonders stark auswirken.

Rechtfertigungsgründe hierfür bestünden nicht. Es wurde nicht dargelegt, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher Preise eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden kann. Anders herum stellt der EuGH fest, dass mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln fördern könnte.

Chance vertan

DER MITTELSTANDSVERBUND teilt die Auffassung der Bundesregierung, dass die Aufgabe der festen Abgabepreise negative Auswirkungen auf die Apothekendichte in Deutschland haben wird. Die Nachteile wird der Verbraucher zu tragen haben. 

Der EuGH stellt richtigerweise fest, dass die Auswirkungen eines Preiswettbewerbs anhand des konkreten Marktes entwickelt werden müssen. Dieser Grundsatz gilt auch im Wettbewerbsrecht und ist Gegenstand aktueller wissenschaftlicher Untersuchungen, die auch vom MITTELSTANDSVERBUND initiiert wurden.

Es ist dagegen bedauerlich, dass die Bundesregierung im vorliegenden Fall keine ausreichenden Beweise dafür erbracht hat, dass einheitliche Abgabepreise in Apotheken erforderlich sind. Die Bundesregierung hatte als Verfahrensbeteiligte und Verteidigerin der bestehenden deutschen Regeln die Möglichkeit, die Auswirkungen des Wegfalls eines einheitlichen Abgabepreises auf den deutschen Apothekenmarkt darzustellen - "Chance vertan", meint DER MITTELSTANDSVERBUND. 

EuGH verkennt Bedeutung von Beratung

Kritik übt der Spitzenverband des kooperierenden Mittelstands auch daran, dass es keine umfassende Abwägung zwischen niedrigen Verkaufspreisen auf der einen und Fachberatung auf der anderen Seite gab. Der Logik der Bundesregierung folgend, könnte eine Abschaffung der festen Abgabenpreise für Medikamente dazu führen, dass die Verkaufspreise massiv fallen. Besonders betroffen hiervon könnten die ländlichen Gebiete sein. Diese Auffassung teilt DER MITTELSTANDSVERBUND.

Der EuGH hat sich mit der Sache nur aus dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit (in Notsituationen) befasst. Wie der Gerichtshof feststellt, kann eine Versorgungssicherheit auch durch den Online-Vertrieb erreicht werden. Hingegen ungeklärt bleibt die Frage, inwieweit Preisverfall und das damit verbundene von der Bundesregierung befürchtete Apothekensterben in ländlichen Gebieten auch zu einem Mangel an kompetenter Beratung führen könnte.

Auch die Beratungsleistungen von Apothekern sind nämlich aus Sicht des MITTELSTANDSVEBRUNDES Teil des Gesundheits- und Verbraucherschutzes und hätten somit bei der rechtlichen Bewertung berücksichtigt werden müssen. Es ist falsch verstandener Verbraucherschutz, jegliche staatliche oder unternehmerische Maßnahmen nur auf ihre Auswirkung auf den Verbraucherpreis hin zu überprüfen. Bei beratungsintensiven Produkten, dazu zählen auch Medikamente, sollte eine umfassende Kundenberatung ein schutzwürdiges Rechtsgut darstellen und in die notwendige Interessenabwägung mit einfließen. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nur in verkürzter Art und Weise erfolgt.

Urteil bleibt unbefriedigend

Insgesamt lässt sich damit feststellen, dass das gefällte Urteil im Ergebnis und seiner Entstehung unbefriedigend ist. Der „Dauerbrenner“ Preispolitik hat durch das vorliegend Urteil eine neue Fassette erhalten - leider nicht im Sinne des kooperierenden Mittelstands.

DER MITTELSTANDSVERBUND sieht es daher als seine Aufgabe an, in der politischen Diskussion auch auf den Zusammenhang von Preisverfall und abnehmender Fachberatung als Kernkompetenz des kooperierenden Mittelstands hinzuweisen.

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