WALK & TALK: Sinnstiftung – Hype oder Haltung?

So weit das Auge reicht, wird über Sinnstiftung gesprochen: Sie steht deshalb auch im Mittelpunkt der PEAK 2023 und des KOMPASS Mittelstand 2023. Doch was verstehen wir unter Sinnstiftung? Was hat sie mit dem kooperierenden Mittelstand zu tun? Und wie sinnstiftend ist eigentlich die eigene Tätigkeit? Darüber haben wir mit drei Berliner Kolleg:innen des MITTELSTANDSVERBUNDES gesprochen: Lisa Kauke, Marius Müller-Böge und Juliane Wehr-Ibold.

Die MITTELSTANDSVERBUND-Jahresveranstaltung PEAK 2023 hat das Dachthema SINNSTIFTER:INNEN UND AUSSEN. Wen oder was möchtet ihr damit ansprechen?

Lisa Kauke: Unser diesjähriger Slogan ist ein kleines Wortspiel: Im Innen- wie Außenverhältnis müssen Verbundgruppen und Genossenschaften beweisen, dass sie Themen wie Diversität, Nachhaltigkeit oder auch veränderte Arbeitsrealitäten ernstnehmen und leben. Wir wollen mit diesem Anspruch vorangehen und verstärkt Nachwuchskräfte – insbesondere auch Frauen aus dem Mittelstand ansprechen. Wir schaffen mit der PEAK eine moderne Plattform für die Spitzen der Verbundgruppenszene – und solche die künftig dazugehören möchten.

Marius Müller-Böge: Mit dem Claim wollen wir auch die Ambivalenz der unterschiedlichen Dimensionen von Sinnstiftung betonen und die Notwendigkeit, dass die Sinnstiftung sowohl nach innen als auch nach außen gelebt werden muss. Dabei wird jede:r Einzelne im Unternehmen als eigener Botschafter:in und Sinnstifter:in angesehen. Und genau dafür müssen Freiräume geschaffen werden, die eine Wertevielfalt zulassen.

Juliane Wehr-Ibold: Den Begriff Wertevielfalt finde ich sehr passend, Marius. Der kooperierende Mittelstand ist vielfältig – nicht nur wegen der verschiedensten Branchen, sondern vor allem wegen der unterschiedlichsten Menschen, Meinungen, Erwartungen und Ideen. Wir erwarten eine spannende Debatte über das Thema Sinnstiftung und wollen damit natürlich auch die Vernetzung und das Gespräch untereinander fördern. Und ich denke, allein unser Dachthema bietet dafür schon viel Gesprächsstoff.

Was bedeutet für euch “Sinnstiftung”?

Marius Müller-Böge: Sinnstiftung ist schwer eindeutig zu definieren, da wir alle unterschiedlich sind. Für mich hat sie etwas mit Entwicklung oder dem Wachsen der Persönlichkeit zu tun. Dabei geht es auch um eine Art von Impact, von Auswirkungen größerer Natur. Wenn wir es auf die berufliche Tätigkeit beziehen, dann ist Sinnstiftung etwas, was sowohl mir als auch der Organisation etwas gibt. Oder anders gesagt: wenn meine Arbeit über die Organisation hinaus einen Unterschied macht.

Lisa Kauke: Ja, was ist Sinnstiftung? Ich stimme dir zu Marius, dass die Frage, was Sinn stiftet, eine sehr persönliche ist. Es bedarf beruflicher Freiräume und einer Kulturoffenheit, damit ich meine eigene Werte mit in die Organisation einbringen kann. Idealerweise sollte meine Tätigkeit dabei mit den Werten übereinstimmen, von denen ich persönlich überzeugt bin.

Juliane Wehr-Ibold: Sinnstiftung bedeutet für mich auch, mit sich selbst im Reinen zu sein. Berufliches und privates verschwimmen dabei immer mehr, denn die persönliche Überzeugung ist schon auch der Kern der eigenen Identität und sollte für mich persönlich in beide Welten passen. Was bewirkt mein Handeln für morgen? Leiste ich damit einen Beitrag für die Gesellschaft? Was werde ich wohl in 10 Jahren rückblickend darüber denken? All diese Fragen gehören für mich dazu. Und vor allem sich dabei selbst treu zu bleiben und sich nicht zu verbiegen.

Wird auf die “Sinnstiftung” im Beruf in euren Augen zu viel Wert gelegt?

Marius Müller-Böge: Viele Menschen haben vielleicht das Gefühl, das, was sie bisher gemacht haben, sei nicht genug. Deshalb stellen Sie grundsätzliche Sinnfragen an ihr Leben. Ich würde nicht sagen: Sinnstiftung muss zwingend primär im Job erfolgen. Wenn jedoch Sinnstiftung ausschließlich in der Freizeit stattfindet, dann ist das nicht gut. Sie kann sich auch in kleinen Dingen zeigen: Wenn ich den Eindruck habe, den Laden durch meine Arbeit voranzubringen oder etwas Neues zu entwickeln. Sinnstiftung muss also nicht bedeuten, dass ich mit meiner Arbeit die Welt grundsätzlich verändere.

Lisa Kauke: Ich denke, wir müssen mit dieser Schablone des Sinngebens ganz behutsam umgehen. Arbeit darf auch einfach normale Lohnarbeit zum Zwecke des Geldverdienens sein und auch bleiben. Man muss aus meiner Sicht ein bisschen aufpassen, dass man Arbeit in dieser Hinsicht nicht idealisiert oder auflädt mit zu viel Anspruch an deren Sinnhaftigkeit. Vielleicht also wird an mancher Stelle der Sinnanspruch etwas überbetont, sodass er stellenweise hindernd wirkt. Grundsätzlich finde ich es jedoch richtig, stets zu hinterfragen, ob die täglichen Energie-Investments mehr als nur dem Selbsterhalt zugutekommen.

Juliane Wehr-Ibold: Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, die globalen Herausforderungen und Krisen sind riesig. Auch der Klimawandel ist kaum mehr aufzuhalten. Ich denke, das führt vielen vor Augen, dass unsere Zukunft nicht selbstverständlich ist. Und jeder seinen Teil dazu beitragen sollte, etwas zu hinterlassen, das auch für die Generationen nach uns noch lebenswert ist. Und was für Menschen gilt, gilt auch für Unternehmen. All jene, die das ignorieren und nicht in ihre Unternehmensstrategie einweben, werden zukünftig zunehmend Schwierigkeiten bei der Fachkräftegewinnung bekommen. Denn was früher die Statussymbole waren, ist für viele heute die Frage nach dem Sinn – und das kann durchaus über “Hopp oder top” im Recruiting entscheiden. Letztlich kann das Gefühl, einen Unterschied zu machen, sehr motivierend sein. Und das ist doch etwas, was sich jede Führungskraft für ihr Team wünscht.

Welche Arbeits- und Organisationsformen können dies ermöglichen?

Marius Müller-Böge: Ich glaube, es darf keine Vorgabe für eine bestimmte Form der Arbeit geben. Die einen arbeiten lieber für sich und generieren über die konzentrierte Arbeit am meisten Sinnstiftung. Es gibt andere Leute, die die Zusammenarbeit untereinander noch weiter verstärken wollen und aus dieser fruchtbaren Vernetzung sehr viel für sich ziehen. Es ist trotzdem in jedem Fall wichtig, dass wir Austausch pflegen und das Verständnis für die unterschiedlichen Erwartungen an die eigene Tätigkeit sowie die Präferenzen für bestimmte Arbeitsformen schärfen.

Lisa Kauke: Ich stimme dir zu, Marius, würde aber trotzdem schon so weit gehen, dass es aus meiner Sicht einen klaren Trend Richtung Autonomie und Eigenverantwortung gibt. Leute wollen “Ownership” für ihre Arbeit haben, wie es schön im Englischen heißt, einen eigenen Tätigkeitsbereich. Es geht aber nicht nur darum, den Mitarbeiter:innen mehr Autonomie und Eigenverantwortung zu geben, sondern auch darum, eine Kultur zu schaffen, in der Fehler als Chance zur Verbesserung gesehen werden und in der auch die Führungskräfte bereit sind, ihre Macht und Verantwortung zu teilen. Dies kann zu einem echten Gewinn für alle Beteiligten werden, da es zu mehr Engagement, Kreativität und Innovation führen kann. Und da glaube ich, wartet noch eine ganze Menge Arbeit auf dem Weg zur sinnstiftenden Tätigkeit für alle.

Juliane Wehr-Ibold: Für mich braucht es hier ganz klar eine Vertrauensbasis, damit Kreativität und Individualität eine Chance haben – und das unabhängig von der Organisationsform. Ob Kontrolle gut oder schlecht ist, sprengt glaube ich den Rahmen dieses Interviews. Kurzgefasst: Statt Kontrolle braucht es meines Erachtens ein anderes Mindset. Gerade während der Corona-Pandemie ist es sicher vielen Führungskräften nicht leicht gefallen, ihren Mitarbeitenden im Homeoffice zu vertrauen. Ich bin aber davon überzeugt: Die Chance, dass aus Vertrauen etwas Produktives und Neues entsteht, ist deutlich größer als das Risiko eines Kontrollverlustes. Vielmehr sollte man sich die Frage stellen, wie Vertrauen aufgebaut und vor allem gestaltet werden kann. Und dazu gehört deutlich mehr als die reine Arbeitszeiterfassung, sondern vor allem die Fragen: Wie befähige ich meine Mitarbeitenden? Wie kann ich sie fördern? Wie lässt sich ein produktives Miteinander gestalten?

Sinnstiftung und kooperierender Mittelstand: Passt das zusammen?

Lisa Kauke: Ein Punkt, der auf jeden Fall ins Auge springt, ist die Organisationsform. Man hat sich als kooperierender Mittelstand, zum Beispiel im System Verbundgruppe, auf den Weg gemacht gemeinsam zu agieren. Sich gemeinsamen Herausforderungen zu stellen, Kräfte zu bündeln und sich statt als Konkurrenten auch als Partner zu sehen. Und Synergieeffekte zu nutzen, sei es Informationsaustausch oder tatsächlich gemeinsames Wirtschaften. Da würde ich jetzt einen großen Punkt sehen, den man als sinnstiftend beschreiben kann.

Marius Müller-Böge: Ich denke, es ist eine große Verbundenheit, die auch die Mitglieder unseres Verbandes und generell den kooperierenden Mittelstand ausmacht. Dass man ein Verständnis für die Komplexität eines Mehrebenensystems in der Wirtschaft hat, mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Aber auch die Erkenntnis, dass es nur zum Nutzen aller Beteiligten funktioniert, wenn alle zusammenarbeiten und das Beste für das Ganze rausholen. Natürlich haben unterschiedliche Unternehmen in unterschiedlichen Branchen nicht immer die gleichen Ziele. Aber trotzdem arbeiten sie alle in sehr ähnlichen Strukturen.

Juliane Wehr-Ibold: Die übergeordnete Frage nach dem “Warum” kann verbinden oder auch trennen – aber sie regt die Diskussion an und löst Emotionen aus. Und ich denke, im kooperierenden Mittelstand spürt man sehr viele Gemeinsamkeiten und findet ähnliche Antworten auf diese Frage. “Zusammen Geht Vieles” ist deshalb unser Leitgedanke – und er stimmt. Gerade auch das Genossenschaftsprinzip, das von Demokratie lebt, spiegelt das wider. Jeder wird gesehen und jede Stimme wird gezählt. Wenn die Welt aus den Fugen gerät, können gewisse Grundprinzipien, gemeinsame Werte und eine starke Haltung stabilisieren und wichtige Innovationen ermöglichen. Und das sehe ich im kooperierenden Mittelstand ganz klar.

Wann habt ihr zum letzten Mal etwas Sinnstiftendes gemacht?

Lisa Kauke: Meinen Einsatz für unsere Initiative Mittelstand & Moor empfinde ich als sehr sinnstiftend. Ich informiere Unternehmen und unsere Mitglieder darüber, wie wir eine 200 Hektar Moorfläche wieder renaturieren wollen. Über 170 von insgesamt 200 Hektar haben wir bereits mit Klimapatenschaften in die Förderung bringen können. Freiräume zu haben, diese Initiative voranzubringen, aber auch Erfolgserlebnisse auf diesem Weg zu verzeichnen fühlt sich für mich nach Sinnstiftung an. Und das Feedback zu bekommen, dass es auch von den Unternehmen die Klimapatenschaften übernehmen als wertvoll empfunden wird und wir somit einen wahnsinnigen Multiplikator Effekt erzeugen konnten. Das ist etwas, was mir das Gefühl gibt, Sinnvolles zu tun. Gerade dann, wenn ich auch in die Natur gehen kann und mir diese Erfolge auch anschauen und sogar anfassen kann.

Marius Müller-Böge: Besonders gut finde ich, dass wir uns seit letztem Oktober noch stärker mit anderen Verbänden vernetzen und zusammenarbeiten – konkret mit dem BGA. Die Zusammenarbeit geht über die üblichen Formate so weit hinaus, dass wir jetzt auch gemeinsame Ausschusssitzungen zu steuerpolitischen Themen durchführen. Das ist etwas, was ich wirklich gut finde. Weil es unser Verständnis für andere Unternehmen, die zwar nicht direkt im eigenen Verband organisiert sind, aber doch ähnliche Herausforderungen haben, stärkt. Und weil wir zudem unseren politischen Impact dadurch erhöhen können, indem wir mit einem anderen befreundeten Verband zusammen an Herausforderungen arbeiten, uns regelmäßig austauschen und auch gemeinsame Positionierungen vorbereiten. So entstehen neue Synergieeffekte, die wir vorher noch nicht in dieser Form gehoben haben.

Juliane Wehr-Ibold: Ich glaube, Sinnstiftung kann auch sehr intuitiv sein und ergibt sich oft in alltäglichen Situationen – ohne jetzt einzelne Beispiele zu nennen. Und da sind wir wieder bei dem Punkt, “Sinnstiftung” nicht auf ein schier unerreichbares Podest zu heben oder es zu zerdenken. Ich persönlich empfinde aber z.B. meinen Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit als sinnstiftend, weil wir uns hier ein tolles Netzwerk mit ganz tollen Persönlichkeiten aus der Verbundgruppenszene aufgebaut haben. Der Austausch findet zweimal im Jahr statt und ist immer sehr spannend, vertraulich, “familiär” und macht einfach Spaß. Dieses Gemeinschaftsgefühl, gemeinsam an etwas zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen, ist für mich sinnstiftend.


Sinnstiftung im kooperierenden Mittelstand ist auch Ihr Thema?


"Let's WALK & TALK together!" Auf der PEAK am 10./11. Mai 2023 über den Dächern Berlins! 

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